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Über Realität und Story: Ashlee Vance’ Biografie »Elon Musk«

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Erkenntnis über Umwege

Dieses Buch liest sich flockig-leicht. Und doch hatte ich so meine Schwierigkeiten damit. Zuerst hab’ ich es auf Deutsch angefangen. Das ganze Buch ist im englischen Original aber ziemlich umgangssprachlich geschrieben, auch enthält es viele Originalzitate von allen möglichen Leuten. Das ins Deutsche zu übersetzen, dass es ebenso lässig klingt, ist fast unmöglich (»Ich will dieses Unternehmen starten. Wenn ihr dabei seid, lasst uns loslegen.«). Irgendwann war ich von der Übersetzung so genervt, dass ich in die englische Version gewechselt habe.

Das ganze Buch ist mehr oder weniger chronologisch aufgebaut und erzählt die Lebensgeschichte von Elon, ein bisschen geht’s auch um die schweizerisch-südafrikanischen Vorfahren und Elons Kindheit. Dann folgen Zip2, Paypal, SpaceX und Tesla.

Dann war ich auf einmal fertig mit dem Buch und hab mir überlegt, was jetzt eigentlich meine Schlüsselerkenntnisse waren. Und da ist mir erstmal nicht so viel eingefallen. Außer, dass er ein verrückter Hund ist. Oder zum Beispiel, dass er konsequent alle Strukturen und Regeln in Frage stellt: »Wir versuchen, wirklich große Fortschritte in der Raumfahrtindustrie zu machen. Wenn die Regeln Fortschritte verhindern, dann muss man diese Regeln bekämpfen.« Aber so einen richtigen inspirativen Grundgedanken konnte ich irgendwie nicht erkennen. Also habe ich es nochmal gelesen, als Audible-Hörbuch beim Autofahren, auf deutsch. Immerhin ist Elon einer unserer am meisten gehypten Zeitgenossen, ein Prototyp des modernen Unternehmers, da muss doch irgendein intelligentes, übertragbares Prinzip abzuleiten sein. Hier meine persönliche Erkenntnis.

Wechselspiel von Realität und Story = Wechselspiel von Produkt und PR

Das Geheimnis von Elon Musk als Unternehmer ist, dass er PR und Storytelling konsequent im Wechselspiel mit der eigentlichen Produktentwicklung einsetzt. Da er sich als CEO in beide Themen stark einbringt und in einer Person vereint, ist das Ergebnis extrem machtvoll. Elon nutzt die Story, um eine große Vision zu formulieren, die besten Leute und Investoren ins Boot zu holen, dem Produkt den Boden zu bereiten und eine Veränderung herbeizuführen, die ganze Branchen auf den Kopf stellt. Das eigentliche Produkt und Business Model entwickelt er parallel im Windschatten der großen Story. Und vollzieht dabei einen ständigen Perspektivwechsel zwischen dem Blick von Innen und dem Blick von Außen.

Eine Besonderheit dabei ist, dass die Story vorausgeht, um die Vision zu formulieren – nicht, wie so oft, dem Produkt nachgeschoben oder zum Marktlaunch erzählt wird. Die andere Besonderheit ist die Verbindung beider Disziplinen – Produkt und PR – auf Führungsebene. Oft laufen PR und die Schwester Marketing im Unternehmen eher getrennt vom Produkt, arbeiten vielleicht sogar gegeneinander. Wenn aber eine Unternehmerpersönlichkeit beide Welten vereint und die dabei entstehende Durchschlagkraft nutzt, kann disruptive Veränderung enstehen (vergleichbar mit Steve Jobs, der Produktentwicklung und Design in einer Person vereinte und zur Chefsache machte). Und alle anderen stehen dann immer nur da und wundern sich, wie die Jungs das machen.

Seine berüchtigte Art und Weise, dabei die menschliche Ebene völlig außer Acht zu lassen und ziemlich unmöglich mit seinen Leuten umzuspringen, erklärt sich dadurch auch: Er folgt selbst nur seinem großen Bild. Auf dieser Ebene denkt er, nich auf der detaillierten Ebene der persönlichen Interaktion. Dazu sagt seine Ex-Frau Justine: »Ich glaube einfach, er versteht die Welt nur strategisch und intellektuell.«

Elon Musk

Vision, Story und Beweisführung

Im Laufe der Zeit wurde Elon immer besser darin, beide Ebenen, die Realität und die Story, so einzusetzen, dass sie sich gegenseitig verstärken und eine Art Kettenreaktion in Gang setzten. Diese funktioniert ungefähr so: Eine große Vision formulieren, damit Top-Staff akquirieren, sichtbare und anfassbare »Quick Wins« mit Symbolwert präsentieren, damit Investoren akquirieren, parallel Business Model entwickeln, Produktentwicklung nachziehen, Pressekonferenzen inszenieren, Vision bekräftigen, usw.

Es gibt Stimmen, die behaupten, dass Elon nur große Stories aufgetischt, aber bis heute nicht geliefert hat: »Den Medien war durchaus aufgefallen, dass Musk riesige Ankündigungen machte und sich dann schwertat, die Versprechen rechtzeitig einzulösen. Aber das störte sie nicht besonders – seine Ziele waren so viel größer als die von allen anderen, dass die Reporter Musk gerne etwas Freiheit ließen. Tesla wurde zum Liebling der Blogger im Silicon Valley, die jeden Schritt des Unternehmens verfolgten und atemlos darüber berichteten. Auch Journalisten, die über SpaceX schrieben, waren überglücklich, dass ein junges, munteres Unternehmen angetreten war, um Boeing, Lockheed Martin und auch die NASA zu ärgern. Jetzt musste Musk nur noch irgendwann ein paar von den Wundersachen, die er finanzierte, auf den Markt bringen (…). Während er für die Öffentlichkeit und Presse eine gute Show ablieferte, begann Musk, sich erhebliche Sorgen um seine Unternehmen zu machen.«

X.coms Vision: Die Neuerfindung des Bankgeschäfts

»X.com sollte eine echte Revolution in Gang bringen. Zum ersten Mal wollte Musk es direkt mit einer finanziell ausgestatteten, gut etablierten Branche aufnehmen, um ihre alte Ordnung auf den Kopf zu stellen. Außerdem begann er damit, seinen typischen Stil zu entwickeln – in ein ultrakomplexes Geschäft einsteigen und sich dabei nicht im Geringsten daran stören, dass er nicht viel über seine Feinheiten weiß. Musk war der Meinung, dass die Banker ihr Geschäft vollkommen falsch angingen und dass er es besser betreiben könne als jeder andere.«

Mit dieser Vision gelang es ihm, Top-Staff zu rekrutieren: »Wieder machte Musk Touren durchs Silicon Valley und schaffte es, mit seinen Anheizerreden über die Zukunft des Internet-Banking neue Entwickler für sich zu gewinnen. Scott Anderson (…) ließ sich von der Vision voll überzeugen: ‘Wenn man zurückschaut, sieht man, dass es purer Wahnsinn war’, sagt er. ‘Unsere Website war nicht viel mehr als eine Kulisse wie für einen Hollywood-Film. Damit kamen wir bei den Kapitalgebern so gerade eben durch.’«

Sichtbarer Quick Win mit Symbolwert: »Woche für Woche kamen neue Entwickler dazu und die Vision nahm Formen an. Das Unternehmen bekam eine Banklizenz und eine Investmentfondslizenz (…). Bis November hatte das kleine Softwareteam eine der ersten Online-Banken der Welt programmiert.«

Elon Musk

SpaceX’ Vision: Der Erhalt der Menschheit als multiplanetare Spezies

»Je mehr er über den Weltraum nachdachte, desto wichtiger erschien ihm seine Erkundung. Er hatte das Gefühl, die Bevölkerung habe einen Teil ihrer Ambitionen und Hoffnungen für die Zukunft verloren. Normale Menschen sahen Weltraumerkundung als Zeit- und Geldverschwendung an (…). Musk aber dachte sehr ernsthaft an interplanetare Reisen. Er wollte die Massen inspirieren und ihre Leidenschaft für Wissenschaft, Eroberung und die Versprechen von Technologie wiederbeleben.«

Um diese Vision sichtbar zu machen und die Aufmerksamkeit der Welt für das Thema Weltraum zu wecken, suchte Elon ein erstes symbolisches Projekt, das er realisieren konnte. Seine erste Idee war, Mäuse nicht nur in eine Erdumlaufbahn zu schicken, sondern bis zum Mars. Später entstand die Idee der »Mars-Oase«: »Nach diesem Projekt sollte Musk eine Rakete kaufen und damit eine Art Roboter-Treibhaus auf den Mars befördern. Eine Gruppe von Wissenschaftlern hatte bereits an einer weltraumfähigen Wachstumskammer für Pflanzen gearbeitet. Die Idee war, sie zu modifizieren, so dass sie etwas Marsboden aufnehmen und darauf Pflanzen wachsen lassen konnte; so sollte der erste Sauerstoff auf dem Mars entstehen. Sehr zur Freude Musks erschien dieser Plan spektakulär und umsetzbar zugleich. Musk wollte, dass die Kammer Fenster bekommt und Videos zur Erde senden kann, sodass die Menschen beim Wachsen der Pflanze zusehen können (…). Es ging darum, sagen zu können: ‘Ja, es gibt Leben auf dem Mars und wir haben es dorthin gebracht.’ Die Hoffnung war, dadurch Tausenden von jungen Leuten zu zeigen, dass dieser Ort gar nicht so feindlich ist. Dadurch würden sie vielleicht anfangen, zu überlegen, selbst dorthin zu reisen.«

Das eigentliche Business Model, das sich später ergab, war, Raketenstarts billiger zu machen: »Stattdessen war Musks Rakete für das untere Ende des Satellitenmarkts gedacht. Hier hatte Potenzial als ideale Lösung für die neu aufkommende Klasse der kleineren Frachten, die sich die enormen Fortschritte bei Computern und Elektronik der vergangenen Jahre zunutze machten. Das Konzept passte perfekt zu einer Theorie in der Branche, laut der sich ein ganz neuer Markt sowohl für kommerzielle als auch für wissenschaftliche Transporte auftun würde, wenn sich nur ein Unternehmen fände, das den Preis für Raketenstarts deutlich senken und regelmäßige Starts anbieten würde. Musk gefiel die Idee, bei diesem Trend an vorderster Front zu stehen und das Arbeitspferd eines neuen Weltraumzeitalters zu entwickeln.«

Mit dieser Idee gelang es Elon, Top-Leute zu begeistern, die Freude an echter Arbeit und der Idee eines Neuanfangs hatten: »Das erste Jahr über kamen bei SpaceX fast jede Woche ein oder zwei neue Mitarbeiter ins Haus. Kevin Borgen war Nr. 23 und kam von TWR, wo ihn unterschiedliche interne Richtlinien stets von echter Arbeit abgehalten hatten. ‘Ich habe es den Country Club genannt’, sagt er. ‘niemand hat irgendwas gemacht.’ Borgen fing schon am Tag nach seinem Vorstellungsgespräch bei SpaceX an. Als er ins Büro kam, sagte man ihm, er solle sich irgendwo einen Computer suchen (…). Er stürzte sich direkt in die Arbeit und blieb zwölf Stunden am Tag dort, fuhr nach Hause, schlief zehn Stunden und kam wieder in die Fabrik. ‘Ich war erschöpft und mental in schlechter Verfassung’, sagt er. ‘Aber bald liebte ich es und war vollkommen begeistert.’

Als das Projekt weiter vorangeschritten und der erste Start einer Rakete angesetzt worden war, zog Elon mit einer Marketingaktion nach: »Er wollte der Öffentlichkeit zeigen, was seine unermüdlichen Mitarbeiter erreicht hatten, und ein wenig Aufregung um SpaceX herum schaffen. Er beschloss, im Dezember 2003 einen Prototypen von Falcon 1 vorzuführen. Die neun Stockwerke hohe Rakete sollte auf einem speziell angefertigten Gestell durch das Land gefahren und dann – zusammen mit dem mobilen Startsystem – vor dem Hauptquartier der Federal Aviation Administration abgestellt werden. Eine begleitende Pressekonferenz sollte Washington deutlich machen, dass ein moderner, intelligenterer und billigerer Raketenhersteller auf den Plan getreten war.«

Doch seine Leute zogen bei der Idee, zusätzlich zu den hanebüchenen Timings des »echten« Raketenbauprojekts noch die Storyebene bedienen zu müssen, nicht mit: »Sie arbeiteten bereits mehr als 100 Stunden pro Woche an der echten Rakete, die das Unternehmen brauchte, um ins Geschäft zu kommen – und jetzt wollte Musk, dass sie parallel dazu auch noch eine schick aussehende Attrappe bauten (…). ‘Meiner Ansicht nach war das reine Verschwendung’, sagt Hollman, einer seiner führenden Konstruktionsingenieure. ‘Es brachte uns absolut nicht weiter. Elon aber fand, dass wir dadurch viel Unterstützung von wichtigen Leuten in der Regierung bekommen würden (…). Ich denke, er wollte SpaceX ein bisschen realer wirken lassen, und wenn man jemandem eine Rakete in den Vorgarten stellt, kann er sie schlecht ignorieren.’

Teslas Vision: Weniger Abhängigkeit vom Öl. Und eine neue Energiegleichung.

Auch in der bis heute unvollendeten und spannenden Geschichte von Tesla finden sich alle Einzelschritte von Elons Arbeitsweise, eine große Vision zu formulieren, schnell einen anfassbaren Prototypen mit Symbolwert hinzustellen, Top-Leute für das Projekt zu begeistern um so das eigentliche Produkt zu entwickeln. Das Team bei Tesla, zu dem Elon als Investor hinzugestoßen war, hatte so auch sofort mit einem Prototypen-Bau begonnen, um die Vision sichtbar zu machen: »‘Wir zeigten damit, dass wir jetzt wussten, was wir bauen wollten’, sagte Tarpenning. ‘Man konnte es anfassen. Es war ein echtes Auto, und es war sehr aufregend.’ Die Fertigstellung des EP1 war ein hervorragender Anlass, um den alten Investoren zu zeigen, was mit ihrem Geld passiert war, und um in einem noch größeren Kreis noch mehr Kapital aufzunehmen.«

Elon Musk

Elons Denkweise besteht aus Designprinzipien

Neben seinem großen Wissenshunger in mathematischen, programmiertechnischen und ingenieurs- und konstruktionsbedingten Fragen fallen in Elons Denkweise viele Designprinzipien auf, die man landläufig nicht bei vielen Führungspersönlichkeiten findet. Da ist zum einen seine Arbeitsweise, seine Visionen durch frühe Prototypen, Marketingaktionen, etc. sichtbar und anfassbar zu machen. Und bedient sich damit der Visualisierung als machtvolles Tool des Designs. Vor allem aber seine Fähigkeit, das eigenen Unternehmen im ständigen Perspektivwechsel von Innen (die eigentliche Produktentwicklung) und sehr plakativ auch von Außen betrachten zu können. Daraus ergeben sich die Story, das Marketing, die PR, zur Formulierung der Vision, die sein Handeln groß macht und den Stoff hergeben, den die Welt liebend gerne hört, denn sie liebt Heldengeschichten.

»Es ist wunderbar, dass Musk zumindest einen Teil seiner Kindheitsfantasien verwirklicht hat«, schrieb der Silicon Valley Tech-Blog Valleywag. »Aber er läuft Gefahr, seine Träume zu zerstören, indem er sich weigert, sie mit der Realität abzugleichen.« Die Geschichte ist also bis heute spannend. Mal sehen, was das Jahr 2017 und Model 3 so bringen.

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