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»The end of branding as we’ve known it«: Die Brand Talks auf der Typo Berlin 2017

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Seit 1995 gibt es die TYPO Berlin, Europas größte, jährlich stattfindende Designkonferenz. In diesem Jahr startete mit den Brand Talks ein neues Format, das parallel zur TYPO Berlin im Haus der Kulturen der Welt stattfand (typotalks.com/berlin/2017/brand-talks/). Das Prinzip: Agentur und Auftraggeber berichten zusammen auf der Bühne über ihr Branding Projekt. Christopher Kollat, Managing Director von Monotype, dem Veranstalter der TYPO Berlin, sagt dazu: »Wir holen mit Audi, Skoda oder Juventus erstmals die großen Marken auf die Bühne. Die Brand Talks sind der Missing Link zwischen der Designszene und den Unternehmen.« In Zukunft soll das Format mit zusätzlichen Satellitenevents, den Brand Days, in wechselnden Städten weiter ausgebaut werden. Stuttgart und ein weiteres Event in Berlin sind bereits in Planung (typotalks.com/day/brand-day/).

Dieses neue Format der Brand Talks habe ich mir mal genauer angeschaut, akkreditiert als Bloggerin. Um die Quintessenz weit vorweg zu nehmen: Es gibt heute mehr Möglichkeiten denn je, im Branding einen Ansatz zu finden, der dem innersten Wesen der Marke entspricht und gleichzeitig eine echte Beziehung mit den Menschen aufbaut. Die Strömungen und Treiber, die einen echten Paradigmenwechsel darstellen, sind Social. Digital. User Experience. Und so kommt auch in den Markt der Branding- und Designagenturen langsam mehr Bewegung rein. Haben letztere sich ja lange als die »Gatekeeper« des heiligen Baukastens Corporate Design gesehen, der die Markenelemente hütet.

Brand Talks Typo

Blogger-Styleguide für Konferenzen: Smartphone, Lanyard, Lesebrille, Notizblock. Foto: Annika K. aka aka

Die Platzhirsche

Die Brand Talks waren in gewisser Weise ein Stelldichein der Platzhirsche: Hardcore Tiefendesign von KMS TEAM, die launigen Jungs von Mutabor, Tausendsassa Jochen Rädeker, der seine Agentur Strichpunkt in atemberaubender Geschwindigkeit auf die digitale Spur bringt. Und Oddity, in unserem alteingesessenen CI/CD-Club ein erfrischender Neuzugang mit radikalem Gedankengut und einem neuen Ansatz: Eine Marke nur »Social« zu denken. Und ein wohltuend kultureller Tiefgang mit dem »George Clooney« der Designszene, Justus Oehler von Pentagram.

Skoda: Die Verbindung von Produkt und Marke

Gewohnt supersauber und gut gemachter Relaunch der Marke Skoda aus der Feder von KMS Team. Repräsentiert durch den langjährigen Creative Director und recht frisch in den Stand des Geschäftsführers erhobenen Patrick Märki, auf der Bühne zusammen mit Stefan Büscher, Director Marketing & Product. Dieser Jobtitel ist interessant, da er den Anspruch formuliert, die traditionell getrennten Welten zu verbinden. Denn in den Automobilkonzernen arbeiten Marke und Produkt traditionell in getrennten Lagern.

Deutlich sieht man auch am neuen Corporate Design, dass es Teil der Aufgabenstellung war, diese Lücke zu schließen. Und so lösen die Brand Designer von KMS Team das Problem mit einem universalen Designprinzip und einer fast lyrischen Designidee, die aus dem Produktdesign abgeleitet ist. So schaffen sie eine Verbindung: die charakteristischen scharfen Winkel, die man aktuell im Fahrzeugdesign auf der Straße bilden die visuelle Klammer des neuen Corporate Designs; formal bezieht sich Skoda dabei auf dem tschechischen Kubismus der 1920er Jahre, Stichwort »bohemian crystal«. Hier erkennt man die Gabe des damaligen Chefdesigners Jozef Kaban wieder (mittlerweile abtrünnig und zu BMW abgewandert), eine gute Story zum Design zu erzählen. Und wie wichtig ist es für Designer, egal ob Fahrzeugexterior- oder Markendesigner, eine starke Geschichte zu erzählen, damit ihre Idee überlebt, auf dem Weg durch die Konzernabstimmung. Die formale Verbindung zwischen Produktdesign und Brand Design ist somit geschaffen, und auch das war sicher ein weiter Weg. Aber was ist mit der echten Verbindung zwischen Marke und Mensch?

Vortrag über Branding

Audi: The interface becomes the brand

So der Titel von Jochen Rädekers Vortrag, der die Zusammenarbeit von Strichpunkt, KMS Team und Blackspace zum neuen Re-Design des Audi Erscheinungsbild thematisiert. Die neuen Guidelines sind laut Rädeker unter www.audi.com/ci als Open Source Code öffentlich für alle zugänglich – ein Paradigmenwechsel. Sie bestehen statt einem starren Regelwerk aus flexiblen, einfachen Prinzipien, die inspirieren statt einengen und sind konsequent aus dem Digitalen, aus dem Interface, aus der User Experience heraus gedacht. Das geht in die richtige Richtung. Doch in der Praxis klammern die Guidelines den wichtigsten Touchpoint, das wichtigste Interface, nämlich das Anzeige-Bedienkonzept im Fahrzeug selbst, komplett aus. Und solange dieser entscheidende Gap zwischen Marke und Produkt nicht geschlossen wird, ist brand experience oder user experience ohne Brüche nicht möglich. Und dann entsteht auch keine echte, direkte Beziehung.

Vortrag bei dem auf der Folie "The interface becomes the Brand" steht

Relaunch DFL/Bundesliga: Channel versus Superzeichen

Wie eine Marke sich anfühlt, wie sie kommuniziert und erfahrbar wird, liegt zum einen in ihrer grundsätzlichen Wesensart begründet. Aber eben auch immer im angestammten »Channel«, durch den die Marke erfahrbar wird (Wie schon Marshall McLuhan sagte: »The medium is the message«). Deshalb war die bedeutungsvollste Erkenntnis dieser launigen, von Hamburger Jungs in Trikots (Heinrich Paravicini, Mutabor) und Kapuzenpulli (Thomas Markert, DFL) vorgetragenen Präsentation zum Relaunch des Brand Designs des DFL / Bundesliga diese: »It’s a sports brand. But first and foremost it’s a media brand«. In diesem Sinne umfasst das Brand Design auch konsequenterweise On Air-Graphics und Game Stats. Im Grunde genommen ist jedoch das Herz des gesamten Brand Designs immer noch die starke, ikonische Bildmarke: die bekannte und omnipräsente Bildmarke des Spielers in Schussposition, denn: »It’s the player who makes the game«. Und hier offenbart sich, Media Brand hin oder her, eine große Sehnsucht der Branche, die Paravicini als Postulat formuliert: »Branding has to be iconic again«. Die große Idee, die durch alle fragmentierten und komplexen Anforderungen unterschiedlichster Channels trägt und am Ende immer noch als großes, klares, einfaches Zeichen erscheint. Vielleicht spiegelt sich darin auch unsere eigene Sehnsucht nach Einfachheit, Orientierung und Zugehörigkeit. Damit wir uns nicht in Luft auflösen in Zeiten der Digitalisierung.

Vortrag über das Branding der Bundesliga auf der Brand Talks Typo

Der heimliche Gewinner: Corporate Typeface

Im Schatten all dieser kulturell-philosophischen Überlegungen zu Branding, die sich vor allem um das Symbol des Logos drehen, gibt es einen klammheimlichen Gewinner: Und das ist die Corporate Typeface, also eine eigens entwickelte, einzigartige Schrift für das Unternehmen. Lange hat sie ein Schattendasein gefristet, oft unterschätzt und immer mit ein bisschen Nerd-Geruch anhaftend (trotz der Galionsfigur Erik Spiekermann, der das Thema Schrift in Deutschland auch außerhalb der Branche bekannt gemacht hat). So spielt sowohl im Skoda- als auch im DFL-Relaunch die Corporate Typeface die Hauptrolle. Generell ist zu beobachten, dass Schrift immer mehr an Bedeutung gewinnt, sie wird zum anerkannten Tool und wichtigsten Brand Element. Vielleicht sieht man daran, dass sich Marken immer stärker mit ihrer eigentlichen Daseinsberechtigung befassen und sich demzufolge mit ihrer Stimme und was sie zu sagen haben. Wenn ich mich recht erinnene, war das Zitat aus Erik Spiekermanns Vortrag am Samstagabend dazu: »Type makes brands legible.« Siehe hierzu auch das neue, Font-basierte Brand Design von YouTube TV.

Brand Talks Berlin

Drogeriemarkt dm: Branding ist tot. Es lebe social.

Über Schrift und Logos denkt Simon Umbreit überhaupt gar nicht nach. Seine Agentur Oddity ist ein erfrischender Neuzugang im Club der alteingesessenen CI/CD-Agenturen und er hat den Laden ordentlich aufgemischt. Entsprechend heißt auch sein Vortrag: »Neue Realitäten. Social Media & Infuencer Marketing am Beispiel der Drogeriekette dm.« Er erzählt über die Zusammenarbeit: »Ich habe noch nie ein Unternehmen erlebt, in dem so viel über Haltung, Menschlichkeit und Bewusstsein gesprochen wird. Die Marke ist echt und glaubwürdig. Und deswegen ist sie auch in den Social Media so erfolgreich.« Was folgt ist ein wirklich spannendes Gedankenexperiment: Was passiert, wenn man alles, was klassisch als Corporate Design bezeichnet wird, einfach weglässt, und an diese Stelle einzig und allein die Beziehung zwischen Mensch und Marke tritt? Alle senderorientierten, wiederkehrenden Elemente, mit denen die Marke ihren Hoheits- und Machtbereich absteckt, die Embleme, die Symbole, die kuratierten Botschaften, alles wird obsolet, wenn man diesen 180°-Perspektivwechsel hin zum Endkunden macht. Für ihn nimmt die Marke immer wieder neue Formen an, sie übernimmt die Rolle im Leben der Menschen, in der die Menschen sie haben wollen. Sie gestalten sich die Marke selbst, so wird sie nahbar und erlebbar.

Die Zahlen liefern Oddity das, was der Branding-Branche seit Jahren messbar fehlt: dm ist heute in den sozialen Kanälen vernetzt mit 5 Millionen Menschen, mit 37 Millionen Kontakten, 80% davon auf dem Smartphone. Interessant dabei ist der Ansatz, diese Kontakte nicht über virale Impulse zu pushen, sondern mehr nach dem Prinzip »always on«, mit regelmäßigen, guten Inhalten. Es geht ein Raunen durch die Reihen der anwesenden, etablierten CI/CD-Branche, wenn ein Simon Umbreit Snapshot-Videos zeigt, die von Azubi-Mädchen mit Häschenohren gefilmt wurden; oder das megaerfolgreiche Blogger-Boxen-Konzept, bei dem Branding, Typografie und Logo wahrlich keine Rolle mehr spielen, im Gegenteil. Er sagt: »Ich nehme Design und die CI-Branche immer noch als einen stark verregelten Bereich wahr. Aber die Leute haben keinen Bock mehr auf verregelten Content.« Und: »Design, das hat ja auch irgendwie mit Schminken zu tun. Das ist nicht echt.«

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Mastercard: Höhepunkt mit kultureller Tiefe

Der Höhepunkt der Brand Talks spielte sich für mich genau an diesem Punkt ab, und er lag in der Dramaturgie der Abfolge. Gerade als Simon Umbreit uns alles weggenommen hatte, an das wir Designer immer geglaubt haben, kam Justus Oehler von Pentagram. Und mit ihm die beruhigende Erkenntnis, dass die Wahl der Mittel eben immer davon abhängt, um welche Marke und welches Thema es sich dreht. Manche Marken, so dm, leben eben von ihrer Nahbarkeit und der direkten Beziehung zur jungen Zielgruppe, die so weit geht, dass die Marke selbst darin aufgeht. Von manchen Marken erwarten Menschen aber auch unerschütterliche Stärke und Präsenz, damit Vertrauen entstehen kann. Das macht Justus Oehler am Beispiel des Markenauftritts von Star Alliance klar. Pentagram entwickelte den Namen und die Wort-/Bildmarke »Star Alliance« 1997 als seinerzeit erste Airline Network Brand.

Noch mehr Kraft und kulturelle Bedeutung entfaltet Design jedoch, wenn es in der Lage ist, eine Verbindung zu Kultur, zu Geschichte, zu den Wurzeln herzustellen (wunderschöne englische Worte, die sich nicht besonders gut ins Deutsche übersetzen lassen: »heritage«, »history«, »legacy«, »inheritance«). Am Beispiel Mastercard zeigt er, dass man mit einem Unternehmen, das 65 Jahre auf dem Buckel hat, und einem etablierten und bekannten Markenzeichen mit Respekt umgehen muss, um es nicht abzuschneiden von seiner Herkunft und Markenwert zu vernichten. Und so knüpft das neue Logo wieder stark an eine Version aus den 1960er Jahren an. Schönes Zitat von Oehler: »Some things are rare. Some things are precious. They are part of our cultural heritage.«

Vortrag über das Branding von MasterCard

Im dunklen sieht man von Justus Oehler nur die clooney-esken, grauen Schläfen. Wer wissen will wie er bei Licht aussieht: http://www.pentagram.com/#/partners/109675

Erkenntnis: Popkultur vs. Hochkultur

Im Lufthansa-Magazin auf dem Weg nach Berlin habe ich ein gutes Zitat von Rubin Singer, einem »Celebrity Stylisten«, über Social Media gelesen: »Die sozialen Netzwerke haben die Popkultur grundlegend verändert: Sie beeinflussen, wie man wahrgenommen wird. Jeder kann auf Knopfdruck sehen, wer ich bin, wie ich arbeite und sich eine Meinung darüber bilden.« Und so lassen sich vielleicht Social Media verstehen, und auch den Widerwillen, den sie in unseren Kulturkreisen und bei »älteren« Generationen teilweise hervorrufen: Sie sind eine neue Popkultur der Jugend, die mit der ihr eigenen Angriffslust, Frechheit und Ironie die alte, statische »Hochkultur« verneint.

Vielleicht ist Hochkultur genau das, wofür die klassischen CI/CD-Agenturen ihrer Herkunft nach immer noch stehen und deren Werte sie insgeheim immer noch vertreten. Sie kommen ursprünglich vom Handwerk des Grafikdesigns, und das wiederum hat seine Wurzeln, wie der Konferenzname TYPO verrät, im Buchdruck und im Schriftsatz. Und ist somit untrennbar mit der Kultur des Buchs, der Schrift, des Lesens und Schreibens, ja, mit dem Bildungsgedanken an sich verbunden. Und wir müssen uns schon gut überlegen, wieviel unserer Kultur und Bildung wir wegfegen lassen wollen im Sturm der Digitalisierung.

Smiley, nachdenklich. Tschüß Berlin! Tschüß TYPO!

Die Skyline von Berlin aufgenommen aus dem Flugzeug

 

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