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Biedermeier 2.0: Ein niemals enden wollender Kindergeburtstag

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I like Kochhaus, but…

Ich gehe gerne ins Kochhaus, der erste Supermarkt, der meine »User-Perspektive« einnimmt, weil er nach Rezepten und Zutaten geordnet ist, nicht nach klassischem Sortiment. Im Kochhaus freue ich mich an neuen Produkten, schönen Küchengeräten und coolem Packaging Design.

Aber irgendwie beschleicht mich dabei auch immer ein merkwürdiges Gefühl, wenn ich mir die hippen Getränkemarken, Münchner Startup-Gins und Ingwersirups, Trinkschokoladen, Gewürzmischungen und Knabbernüsschentüten anschaue.

Lifestyle-Welle und Idylle

Als wäre in den letzten Jahren eine riesige Lifestyle-Welle durch die westlichen Hauptstädte dieses Planeten geschwappt, die mittlerweile irgendwie alle gleich skandinavisch aussehen, mit ihren Cafés, Concept Stores, Bioläden und Kaffeeröstereien. Als ginge es nur noch darum, von früh bis spät unseren hedonistischen Lifestyle als Idylle zu inszenieren und durchzuästhetisieren, beim Limo machen, Marmelade kochen und Kuchen backen (mich übrigens eingeschlossen). Als würden alle so tun, als sei die Welt ein niemals enden wollender Kindergeburtstag.

Packaging Design: Biedermeier 2.0

Ich glaube, so fühlt sich das an, wenn man eine Epoche am eigenen Leib miterlebt. Fakt ist, dass wir uns inmitten einer romantischen Blase befinden. Biedermeier 2.0, als Gegenreaktion auf die Zeiten des Umbruchs, in denen wir leben. Heute ist es die digitale Revolution, die über uns hinwegfegt, vor hundert Jahren, zu Zeiten des Biedermeier, war es die industrielle Revolution, die sich vergleichsweise lange Zeit gelassen hat.

Es sind vor allem die Grafik-, Kommunikations- und Brand Designer, die all diese hippen Produkte liebevoll gestalten und verpacken, damit diese romantische, von Kindheitserinnerungen und Retroelementen stark geprägte Entwicklung zum Ausdruck bringen und über Pinterest über den ganzen Globus verbreiten. Mit bunten Mustern, Illu-Style, Krakel-Typo und infantilen Produktnamen (»I’m Bänänäs«), ein Potpourri, das in seiner Optik teilweise an Kindergartenbastelstunde erinnert. Immerhin sind es ja genau die »Creative Class« und »Creative Professionals«, also Leute, die in kreativen Berufen arbeiten, die den Kern der Hipsterbewegung ausmachen.

Packaging Design

Früher haben die Kinder der 1980er Jahre »Glücksbärchis« und »Pezi der Bär« in der ORF-Kinderstunde geschaut, heute essen sie »3 Bears Porridge« mit ihren Kindern.

Packaging Design

Ich sag »I’m Bänänäs«. Mehr sag ich nicht.

Packaging Design

Wir haben uns alle lieb! Auch wenn der Dosen-Wodka »Skinny Bitch« heißt.

Packaging Design

Dipster-Gewürzmischung für Hipster-Alltagsästheten

Packaging Design

Marshmallow-Schoko in Clown-Anzügen

Politisches Grafik-Design

Es gab ja auch mal Zeiten, da waren es eben auch Grafikdesigner, die die politischen Themen angefasst und sichtbar gemacht haben, z.B. der Grafiker Klaus Staeck, der in den 1970er Jahren politische Plakate gegen die konservativen Parteien gestaltete (»Deutsche Arbeiter! Die SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen«).

In letzter Zeit ist wieder oft über das Thema »Verantwortung im Design« zu lesen gewesen. So titelte die W&V auf dem Cover der vorletzten Ausgabe in einem Interview mit Philip Thesen, Designchef der Deutschen Telekom, »Das Design hat die Verantwortung«, in dem es um die verantwortungsvolle Gestaltung der Schnittstelle zwischen Mensch und Technik ging. Auf der letzten push conference drehte sich die Diskussion u.a. um die Verantwortung des UX Designers in Bezug auf Privacy und Datenschutz (Vortrag von Ame Elliott, simplysecure.org).

Und das ist gut so! Damit es nicht dabei bleibt, was sehr treffend und ironisch auf den Transparenten und Plakaten von youvo.org auf der Typo- und der Republica-Designkonferenz zu lesen war: »I want to change the world, but I’m only good at Photoshop«.

Packaging Design

Bei youvo können sich Kreative aus dem Digital-, Design- und Kommunikationsbereich mit ihren Fähigkeiten für soziale Projekte engagieren.

Packaging Design

Die Geschichte wiederholt sich. Nachzulesen in diesem Klassiker von E.H. Gombrich (der Kunstgeschichte und geschichtliche Zusammenhänge so schön beschreiben konnte wie kein anderer)

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