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Warum Emojis nicht das Ende der Schriftkultur sind

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Verrückt, wie Emojis unsere Schriftkultur in den letzten Jahren im Sturm erobert haben. Sie bevölkern alle Art von Texten: Mails, Facebook-Posts, Whatsapp-Nachrichten, Blogs. Auf dem Apple iphone wechselt man mittlerweile zwischen Alphabet und Emoji-Zeichensatz auf gleicher Hierarchie-Ebene; der Auto-Spellcheck schlägt einem Schreibweisen im lateinischen Alphabet genauso vor wie ein passendes Bildchen in Form von Smiley, Herz und Prosecco-Glas.

Während der Duden, die Instanz für das geschriebene Wort, einmal im Jahr neue Wörter hinzunimmt und alte Wörter ausmistet und das relativ unbeachtet vonstatten geht, feiern Presse und Tausende User in den Social Media den Launch von neuen Emojis über das Unicode Consortium, so geschehen anlässlich des freudig begrüßten »Kotz«-Emojis 2017.

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Wunderschön ausgearbeitete Details zeigt das 2017 gelaunchte »Kotz-Emoji«

2015 wählte die Oxford University Press das Emoji ? („Face With Tears of Joy“) zum Wort des Jahres, mit der Begründung, dass die Verwendung von Emojis stark zugenommen hätte und diese als »nuancierte Ausdrucksform Sprachbarrieren überwinden« könnten.

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Wort des Jahres 2015: »Face With Tears of Joy«

Was bedeutet das alles? Den Niedergang der Schriftkultur? Die Infantilisierung der Kommunikation? Die Rückkehr zur Hieroglyphe? Hier eine kurze, nicht wissenschaftliche Betrachtung.

Ein partielles Schriftsystem

Emojis sind, streng genommen, ein partielles Schriftsystem, ähnlich wie die arabischen Zahlen oder die Notenschrift. Partielle Schriftsysteme sind in der Lage, bestimmte Informationen besonders gut zum Ausdruck zu bringen, die unser universelles Zeichensystem mit den 26 Buchstaben nicht oder nur unzureichend abdeckt. Mit der Zahlenschrift lassen sich zum Beispiel so gut wie mit keinem anderen Zeichensystem quantitative Informationen speichern, mit der Notenschrift Töne, Melodien und mehrstimmige Arrangements. So gesehen: Für welche Informationen sind denn die bildhaften Emojis zuständig? Für die Emotionen, könnte man jetzt aus der Pistole geschossen sagen. Stimmt wahrscheinlich auch. Außerdem können Emojis in einem Bildzeichen zusammenfassen, wofür man viele Worte brauchen würde.

Emoji

»Romeo und Julia« in Emoji-Kurzform, https://www.yaez.de/schule/klassiker-in-emojis-erkennt-ihr-welche-schullektuere-gemeint-ist/

Ein Phänomen der digitalen Kommunikationsmedien

Der sprunghafte Erfolg der Emojis lässt vermuten, dass es einen großen Bedarf nach einem partiellen Schriftsystem gegeben haben muss, das bestimmte Informationen abdeckt, die das Alphabet nicht abdeckt. Hm, bedeutet das, dass es bislang nicht möglich war, Emotionen in Texten gut auszudrücken? Das kann nicht der Grund sein, ist es doch nirgendwo so gut möglich, komplexe, emotionale Verwirrungen und Entwicklungen zu beschreiben, wie beispielsweise in der Literaturgattung des Romans (das beste Buch aller Zeiten: Thomas Manns »Die Buddenbrocks« – aber darüber können wir ein andermal diskutieren). Der Unterschied ist: In einem Roman wie dem gerade erwähnten hat man 768 Seiten Zeit, eine Gefühlslage sich entwickeln zu lassen. Vielleicht findet man deshalb die Antwort in den Anwendungsbereichen von Emojis. Sie sind ein Phänomen der digitalen Kommunikationsmedien, die vor allem eines sind: sehr schnell. Sie kommen nicht vor in »langsameren« Texten, digitalen Fach- oder Sachtexten, ebenso wenig in handschriftlich verfassten oder gedruckten Texten, also Büchern oder Zeitungen. Sondern vor allem in den sozialen Medien, Facebook, Whatsapp, vielleicht noch Mails. Daraus könnte man die These ableiten, dass sie eben genau dafür benutzt werden, Sprache und Kommunikation zu unterstützen. Als partielles Schriftsystem stellen sie die gesprochene Sprache in der geschriebenen Sprache dar. Und das beobachten wir ja in der digitalen Kommunikation: Vermischung des gesprochenen und des geschriebenen Wortes. Dialoge in Whatsapp sind digitale, textliche Abbildungen von Unterhaltungen, also gesprochenes Wort. Das ist ja genau das, was unsereiner ja manchmal befremdlich erscheint, wenn man Gruppen von Kids nebeneinander sitzen sieht, mit ihren Smartphones in der Hand, sich gegenseitig whatsappend.

Ebenso kulturell bedenklich ist vielleicht auch die Spontanität in der Anwendung von Emojis. Viele Tausend Jahre hat der Mensch benötigt, um sich einigermaßen kultivierte Umgangsformen anzueignen. Dazu gehört auch, dass man nicht jeder Gefühlsregung sofort nachgibt und sie dem anderen entgegenschleudert, sondern vorher einmal durchatmet. Emojis scheinen im Gegensatz dazu ein verführerisches Mittel zu sein, jedem Impuls sofort Ausdruck zu verleihen, und das auch noch öffentlich. Der Gegenüber wird mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenso implusiv reagieren, und so ist das emotionale Wettrüsten, der Shitstorm, schnell im Gange. Lösungsvorschlag: Einsatz des bislang eher wenig bekannten Deeskalations-Emoji »friedlich« (ziemlich weit unten in der Facebook-Gefühlsliste). Gesellschaftlich hat das Thema auf jeden Fall eine andere Dimension (lies hier über die Bedenken eines ehemaligen Facebook-Mitarbeiters über die Folgen von Social Media für die Gesellschaft).

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Das bislang unentdeckte Facebook-Emoji »friedlich« ist so unbekannt, dass man es noch nicht mal googlen kann. Hier ein stark vergrößerter Screenshot.

Leben im Schmelztigel

Zusammenfassend könnte man sagen, in den digitalen, sozialen Medien rücken Bild und Text näher zusammen und verschmelzen miteinander. Insofern handelt es sich bei den Emojis schon um eine Art Rückkehr zu den Hieroglyphen; immerhin ist unser Alphabet ja auch aus Bildern und Symbolen entstanden. In Comics gab es diese Ebene zwischen Text und Bild schon lang, dass Sprache sehr bildhaft dargestellt wurde, zum Beispiel in der Art und Weise, wie Flüche und Schimpfworte komplett in bildhaften Zeichen ausgedrückt wurden.

Interessanterweise wurden Comics ja lange als Ausgeburt der Popkultur gesehen und waren – zumindest innerhalb des Bildungsbürgertums – nie hoch angesehen. Es gab, vor allem in Deutschland, immer eine strikte Trennung zwischen U und E (»Unterhaltung« und »Ernst«), zwischen Popkultur und Hochkultur. Auch diese Grenzen verwischen im digitalen Zeitalter zusehends. Ebenso gibt es ja im Deutschen die Tendenz, dass sich Umgangssprache und Hochsprache angleichen und zusehends verwischen. Und das ist ja auch nicht immer nur negativ zu sehen. So schreibt Uwe Hinrichs in seinem Gastbeitrag in der »Zeit«: »Das Hochdeutsche entwickelt aus seinem Reichtum allmählich eine flexible Sprechnorm, die den kommunikativen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts angepasst ist.« Und: »Durch den Urwald der Schulgrammatik bahnt sich allmählich, wie von einer unsichtbaren Hand gezeichnet, ein ‚Trampelpfad‘ des Sprachwandels, wie es der Düsseldorfer Linguist Rudi Keller ausdrückt. Und wir beobachten diesen Wandel quasi aus der Froschperspektive, in einem schmalen Zeitfenster, vermeinen Fehler und Barbarismen zu entdecken, weil wir immer nur durch die Brille der Hochsprache sehen.«.

Bücher sind sprachliches Naturschutzgebiet

Aber zurück  zu den Büchern: Trägt nicht die geschriebene Sprache in stärker in sich geschlossenen Medien – allen voran Bücher – dazu bei, Sprache zu erhalten? Sie in der Idealform zu konservieren? Unter der Schmelztigel-Atmosphäre der digitalen Kommunikation und der sozialen Medien wirken gedruckte Bücher fast wie ein Naturschutzgebiet, in denen die Sprache weiterleben darf – schützenswert eben. Angesichts der flatterhaften, fragmentierten, digitalen Kommunikation wirken der Tiefgang und die Langsamkeit eines gedruckten Textes, tiefe Sprache, tiefe Gedanken – und die komplette Abwesenheit von Emojis – fast wie eine geistige Entgiftungskur. Vielleicht sollten Bücher mit Tiefgang sich in Zukunft ein Gütesiegel verleihen »Emoji-freie Zone« (ähnlich wie ein »Vegan«-Label). #DigitalDetox. LOL. Smiley – nachdenklich.

(Ich habe schon früher einen ähnlichen Artikel über Icons in der W&V geschrieben – siehe hier)

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