Ja, Ideen kann man auch prototypen
Die einzig wahre Art und Weise, in unserer völlig verkopften Unternehmenswelt etwas zu bewegen, Lösungen für komplexe Probleme zu finden und schnelle Entscheidungen herbeizuführen, ist: Sich der Methode des permanenten »Ideen-Prototyping« zu bedienen und sich diese Handlungsweise im eigenen Denken und Handeln anzugewöhnen: Wenn es im Business darum geht, Ideen zu entwickeln, ein internes Projekt voranzutreiben, Abläufe und Workflows zu optimieren, Entscheidungen zu treffen. Die Komplexität vieler Prozesse, der Zwang zur sofortigen Skalierung und Übertragbarkeit einer Idee, die silohafte Mentalität der Unternehmensstrukturen, die schier unüberschaubare Anzahl an verfügbaren Optionen, sowie die Angst, Verantwortung zu übernehmen oder Fehler zu machen münden oft in die totale Blockade. Und das führt wiederum zum extrem frustrierenden Gefühl jedes Einzelnen, nichts bewirken zu können. Und dazu, dass in Zeiten, in denen der Wandel und Agilität in Unternehmen so wichtig ist, nichts voran geht.
Machen. Entscheiden. Weitermachen.
»Prototyping« kommt als Begriff aus der Softwareentwicklung oder wahlweise aus dem industriellen Modellbau, aus dem Product Design oder meinetwegen Design Thinking – zumindest kann man wahrscheinlich sagen, dass Prototyping eine relativ junge Methode ist, die es ermöglicht, in komplexen Entwicklungsprozessen das Ergebnis sozusagen vorgezogen zu simulieren, um Entscheidungsfindung möglich zu machen und somit den Prozess voranzutreiben. In der Automobilindustrie ist es eine seit vielen Jahren etablierte Methode, in einem solch komplexen Prozess wie der Fahrzeugentwicklung das Ergebnis immer wieder nach vorne zu antizipieren und visualisieren. Was für eine fantastische, schlaue Idee! Und wie toll, dass Designer naturgemäß schon immer so arbeiten!
Aber wie anders, anders, anders sieht oft die Realität in deutschen Unternehmen, Abstimmungshierarchien und Entscheidungsprozessen aus :-(. Meetings, Briefings, Dinge ausschweifend in der Theorie diskutieren, die dann in der Praxis schnell im Sande verlaufen, Kriterienkataloge aufstellen, die sich viel mit dem Wie auseinandersetzen, aber verhindern, dass man sich mit dem eigentlichen Was beschäftigt. Ideen zerreden, ohne sie einfach auch mal ausprobiert zu haben. Viele Leute haben einfach vor lauter Kopflastigkeit das »Machen« verlernt.
Prototyping bedeutet das Gegenteil: Machen. Ausprobieren. Sich was trauen. Tatsachen schaffen. Entscheiden. Trial and Error. Fehler machen. Beim Machen, im Prozess Erfahrungen sammeln, die direkt wieder in die Weiterentwicklung des Prozesses einfließen können. Prototyping als Ideenentwicklungs-Methode ermöglicht es, in unseren Zeiten, angesichts der Komplexität heutiger Produktentwicklung und Entscheidungsfindung überhaupt handlungsfähig zu bleiben.
»Es entspricht dem Zeitgeist, einfach mal zu machen.«, schreibt Alain Veuve in seinem Blog-Beitrag »Warum das Beratungsgeschäft schwierig wird: Die Ära der neuen Macher«. Die technologische Entwicklung, die ganze Welt ändert sich heute einfach zu schnell. Hatte man früher drei Jahre Zeit, in braver Abfolge Strategie, Konzeption, Entwicklung und Umsetzung zu betreiben, so hat sich heute die Welt in 3 Jahren so schnell verändert, dass das Konzept schon veraltet ist, bevor es überhaupt nur die Umsetzung erreicht. Heute geht es darum, mittels Prototyping so früh wie möglich im Prozess anfassbare Zwischenergebnisse zu erzielen, um überhaupt entscheiden zu können, ob es sich lohnt, den Prozess weiterzuverfolgen.
Prototyping in klassischen Unternehmensstrukturen
Die Methode und Denkweise des Prototyping ist übertragbar, das Potenzial dahinter noch viel weitreichender. Vor allem, wenn man es auf Unternehmensstrukturen und Unternehmensführung überträgt. Denn wie sehen denn Strukturen und Entscheidungsprozesse aus, die eine solche schnelle Arbeitsweise, eine interdisziplinäre Denkweise und eigenständige Team-Entscheidungen überhaupt ermöglichen?
Klassische Unternehmensstrukturen basieren auf den Prinzipien Arbeitsteilung, Ergebnisgetriebenheit und hierarchische Entscheidungen. Drei Prinzipien, die dem Prototyping praktisch zuwiderlaufen. 1) Das tayloristische Prinzip der Arbeitsteilung hat in den Unternehmen Abteilungen oder eben Silos hervorgebracht: Ein klassischer Prozess durchläuft die Strategieabteilung, es folgen Konzeption, Produktentwicklung und -umsetzung, später Marketing und Vertrieb. Im schnell getakteten Prototyping durchläuft man diesen Prozess mehrmals, in mehrfacher Geschwindigkeit. An den Schnittstellen der Silos, die im Zweifel sowieso eher gegeneinander als füreinander arbeiten, würden bei diesem Tempo Reibungsverluste entstehen, die den Prozess zum Erliegen bzw. zur Auflösung bringen würden. 2) Um Ergebnisse innerhalb klassischer Unternehmensstrukturen nach oben in der Hierarchie durchzureichen, wird eine knappe Management Summary erstellt, auf deren Basis eine Entscheidung gefällt wird. Die nächste Gelegenheit, bei der das Thema auf der Agenda der Vorstands oder Geschäftsführungssitzung ist, liegt eventuell Monate in der Zukunft. Das Team, das diese Makro-Entscheidung abwartet, ist in der Zwischenzeit quasi handlungsunfähig. Dies erscheint angesichts der Schnelligkeit und der eigenständig im Team getroffenen Mikro-Entscheidungen im Prototyping als eher altmodische Vorgehensweise. 3) Vor allem: die Entscheidungsträger in klassischen Unternehmensstrukturen waren nicht Teil des Prozesses! Sie sehen nur das Ergebnis. Bei ihrer Entscheidung wird immer das »Not invented here«-Syndrom eine Rolle spielen. Die Ergebnisgetriebenheit ist dabei eine veraltete (deutsche?) Denke, die das Augenmerk immer eher auf das Ergebnis, und nicht den Weg dorthin, richtet. Damit verbaut man sich den Weg, aus dem Prozess zu lernen.
Abschied vom Perfektionismus
Im Prozess, beim Prototypen, sind die Dinge notgedrungen nicht perfekt, weil sie eben »Work in Progress« sind. Was zählt, ist der Weg zur Erkenntnis, die Gedankengänge, Entscheidungen, Irrtümer. »Think process. Not product.«, sagt dazu Austin Kleon in seiner fantastischen Lektüre »Show your work – about creativity in the digital age«.
Perfektionismus speist sich teilweise aus einem altmodischen Kreativitätsgedanken und -Mythos: der vom einsamen Künstler im stillen Kämmerlein oder vom Erfinder in seinem Labor, die sich nicht über die Schulter schauen lassen und der Welt nach einem Black Box-Prozess das fertige, perfekte Ergebnis zeigen. Das Prototyping, die schmutzige Seite der Kreativität, hat eben früher eher hinter verschlossenen Türen stattgefunden. Der Perfektionismus kommt also aus der alten, haptischen Welt; immerhin gibt es eben bei den meisten analogen Herstellungsverfahren kein »Apfel Z«. Das heißt, in der alten Welt der Unikate, bevor eben Produkte in Handarbeit und nicht in Serie hergestellt wurden, konnte man noch wahre Meisterschaft erreichen. Aber auch in der analogen Serienfertigung herrschte Perfektionismus vor: Bevor ich zum Beispiel früher eine Drucksache in vieltausendfacher Auflage in Druck gegeben habe, wollte ich schon sicher sein, dass die Druckvorlage »perfekt«, also fehlerlos, ist, damit eben auch das Ergebnis perfekt sein konnte. Digitale Herstellungsverfahren und Software haben den Punkt, wo die Dinge »perfekt« zu sein haben, ins unendliche nach hinten verschoben. Software-Produkte werden gelauncht und der User zum Beta-Tester. Der (niemals eintretende) perfekte Seinszustand des Produkts ist Teil des Business Models.
Übertriebener Perfektionsmus ist eine destruktive Kraft (oft sind die Leute, sie von sich sagen, ihnen gehe es um Perfektion, auch noch stolz darauf!). Perfektionismus verhindert Fortschritt. Er verhindert virtuoses Ausprobieren und befördert die Angst davor, Fehler zu machen. Perfektionismus verhindert Ideen-Prototyping.
Sechs simple Regeln für Ideen-Prototyping
1. Fang einfach an
So schwer es scheint, so groß die Angst vor dem weißen Blatt Papier: Ideen-Prototyping ist oft wie ein Luftschloss bauen. Etwas in die Welt setzen, was es zuvor nicht gab. Das trifft nicht nur auf Designkonzepte zu, sondern betrifft eigentlich alles, womit wir unser Business voranbringen können: Gute Ideen. Einen neuen Ansatz finden, um konkrete Probleme zu lösen. Eine Maßnahme entwickeln, mit der man eine Botschaft adressiert. Ein Motto, wie man einen Sachverhalt kommunizieren könnte. Eine Vorgehensweise, wie man eine komplexe Entscheidung managed. Einen Plan, wie das nächste Projekt laufen soll. Bevor Du die Runde drehst und alle möglichen Leute involvierst, bring erstmal Deine eigenen Gedanken zu Papier. Das, was Dir vorschwebt und was Du zu sagen hast. Dann erst hol Dir Input. Wenn sie erstmal zu Papier gebracht ist, kann die Idee weiter wachsen.
2. Schreib Deine Idee auf, und zwar »quick und dirty«
Wenn Du Dich das erstmal hinsetzt um Deine Idee zu fassen, schreibe sie auf. Forsche in Deinem Kopf, da hast Du die Idee oder den Gedanken ja schon einige Zeit herumgetragen, und schreibe genau die Gedankenfetzen, Stichworte und Versatzstücke auf, ganz wild querbeet. Fang bloß nicht an, alles sofort in einen logischen Gesamtzusammenhang zu bringen, zu formulieren, »schönzuschreiben«, zu verkaufen und sofort in die Detailebene und die verkrampfte Suche nach perfekten Worten einzusteigen. Denk nicht an Deinen Chef oder eine sonstige schwierige Audienz, sondern stell Dir vor, Du redest mit Dir selber. Oder würdest es Deinem Lieblingskollegen erzählen. Alles, was Du noch nicht weißt, lass im Unklaren oder schreibe »xxx«. Egal. Hauptsache, der Gedanke steht.
3. Frag »Was wäre wenn?«
Es hilft manchmal ungemein, nur so zu tun als ob. Mit der Frage »Was wäre wenn«, oder, schöner auf englisch »What if« entwickelst Du ein Szenario, das frei gedacht ist und dem Idealbild relativ nahe kommt. Der Trick ist, mit dieser Frage die eigene Betriebsblindheit auszuschalten und einen 180° Perspektivwechsel einzunehmen. Mit dieser Frage schaffst Du es, dass auch die Zuhörerschaft sich ein Stück weit von den Zwängen des Alltags und der Struktur befreit, statt von Anfang an jede Idee und jeden Gedanken mit allen Anforderungen, Restriktionen, Kompliziertesten zum Rohrkrepierer werden zu lassen. Und: niemand kann Dir böse sein oder es Dir vorwerfen, wenn Du die Frage »Was wäre wenn?« fragst. Notfalls schreib noch groß und breit »Szenario« obendrüber.
4. Umgib Dich mit agilen Denkern
In vielen Unternehmen ist die »Macher-Mentalität« nicht in der Kultur verankert, oft ist den Nörglern das Feld überlassen. Und es ist immer einfacher, an einem konkreten Vorschlag herumzunörgeln und sich mit Negativ-Kritik zu »positionieren«, als selber einen zu erarbeiten. In der Entstehungsphase der Idee bist Du also dafür verantwortlich, sie zu schützen und wachsen zu lassen (Protect the new nennt das Ed Catmull in seinem Buch »Creativity, Inc.«). Überleg Dir also gut, wen Du involvierst. Das sollten nur schnelle, konstruktive und agile Denker sein, auf deren Unterstützung Du bauen kannst. Die Bremser, Bedenkenträger und Kritiker lass in der Frühphase lieber raus. Die Idee muss ja erstmal überhaupt in ihrer Reinform zu Papier gebracht werden. Die Kompromisse, Probleme und Ausschlusskriterien kommen von ganz alleine. Können aber in einem Prototyping-Prozess auch konstruktiv in den Prozess einfließen.
5. Gib Deiner Idee einen Namen
Jede gute Idee braucht einen Namen. Damit sie, die frischgeborene, einen Raum einnehmen und einen Platz besetzen kann in dieser Welt. Damit diejenigen, die sie zum ersten Mal hören, sie ernst nehmen und überhaupt als etwas Gegenständliches wahrnehmen, geht es doch beim Ideen-Prototyping um Gestaltwerdung einer neuen Idee, die es zuvor in der Welt noch nicht gegeben hat. Mit einem Namen programmiert man die Realität nach den eigenen Vorstellungen, ähnlich dem Effekt, der in der Steve Jobs-Biografie als das Reality Distortion Field beschrieben ist. Einen Namen braucht Deine Idee auch, damit dieser weitergetragen und weitererzählt werden kann.
6. Mach den Reality Check
Die ganze Idee vom Ideen-Prototyping besteht darin, nicht zu theoretisieren, sondern so nah wie möglich am echten Leben zu agieren und quasi die Realität vorwegzunehmen. Also musst Du eben dahin, wo das Leben stattfindet. Das heißt im ersten Schritt: Geh raus und recherchiere! Frag die Leute, die dazu etwas zu sagen haben. Recherchiere, wo die Dinge herkommen, warum sie heute so sind, wie sie sind. Mach Fotos. Sammle Aussagen und Zitate. Dokumentiere Deinen Gedankengang. Und in allen weiteren Schritten der Ideen-Iteration bedeutet es, immer wieder den Reality Check zu machen. Immer wieder Deine Idee einer Audienz vorzustellen und die Reaktionen zu beobachten und in den Prozess einfließen zu lassen. Für das Ideen-Prototyping ist es einfach essentiell, die Idee nicht klinisch und theoretisch, sondern wann immer möglich im echten Gebrauch weiterzuentwickeln.