Tom Hodgkinsons Buch »Anleitung zum Müßiggang« ist fast schon ein Klassiker. Er hat es Anfang der 2000er Jahre geschrieben; viele Tendenzen darin, wenn es um die Arbeit, unseren kleinteiligen, schnell getakteten Alltag und das uns von klein auf eingeimpfte Pflichtbewusstsein geht, gelten selbstverständlich immer noch; oder haben sich seither sogar immens verstärkt. Hodgkinson hat in den 90er Jahren die »Idler«-Bewegung begründet, gibt ein gleichnamiges Magazin heraus und hat in London die »Idler Academy« gegründet. In seinem Vorwort zum Buch schreibt er: »Müßiggang bedeutet Freiheit, und damit meine ich nicht die Freiheit, zwischen McDonald’s und Burger King, zwischen Volvo und Saab zu wählen. Ich meine die Freiheit, das Leben so zu führen, wie wir es wollen, frei von Vorgesetzten, Wochenlöhnen, Berufsverkehr, Konsum und Schulden.«
Das Buch bietet seine Lebensanschauung britisch-humoristisch dar. Er nennt es sein Experiment, wie in vorindustrieller Zeit zu leben. Man könnte es auch als praktisches Handbuch für ein Leben außerhalb des Mainstreams bezeichnen. Aber der Gedanke dahinter ist viel ernsthafter und philosophischer. Denn Hodgkinson hinterfragt unsere Gesellschaftsordnung und zerlegt sie Stück für Stück in ein Gedankenkonstrukt des industriellen Zeitalters, des Puritanismus und der Leistungsorientierung.
Free work from jobs
Viele Strukturen, in die wir hineingeboren werden, hinterfragen wir gar nicht. Weil wir sie als so selbstverständlich erachten, dass wir sie gar nicht sehen; wir glauben, sie sind schon immer so gewesen. So ist es z.B. auch mit dem Angestelltendasein, dem »Job«, den Hodgkinson als relativ neue Erscheinung nachweist, die aus der Industriellen Revolution hervorging. Bevor Maschinen und Fabriken eine normierte Arbeitsleistung erforderten, war Arbeit eine fließende und weniger strukturierte Angelegenheit. »Damals orientierten sich die Menschen an den Aufgaben, statt sich an einen Job von neun bis fünf binden zu lassen.« Ein extrem einleuchtender Gedanke, der uns in Unternehmensstrukturen abhanden kommt, wenn der Angestellte morgens nach dem ersten Stop an der Kaffeemaschine bereits das Mittagessen herbeisehnt, nur um dann ungeduldig auf den Feierabend zu warten. »Dieses alte Arbeitsmodell sah den Wechsel zwischen Perioden intensiver Arbeit und Muße überall dort vor, wo die Menschen ihr Arbeitsleben selbst unter Kontrolle hatten, Arbeit und Leben waren ineinander verflochten. Ein Weber mochte vielleicht an einem regnerischen Tag acht oder neuen Yards weben. An anderen Tagen webte er vielleicht nur zwei Yards bevor er ‚allerlei Tätigkeiten an der Drehbank und auf dem Hof verrichtete & am Abend einen Brief schrieb.‘ Oder er ging Kirschen pflücken, arbeitete an einem Damm der Gemeinde, half der Kuh beim Kalben (…) oder fällte Bäume (…).«
Hodgkinson fordert zu der Frage heraus, ob nicht dieser alte, verloren gegangene der ‚natürliche‘ menschliche Arbeitsrhythmus ist. Und da hat er recht! Für die scheinbare Sicherheit der ständigen Beschäftigung hat der Mensch im industriellen Zeitalter viel aufgegeben: »Selbständige wurden zu Arbeitnehmern; Familien begannen, von Löhnen zu leben und die Lebensmittel zu kaufen, die sie in früheren Generationen vielleicht selber angebaut hatten. Mag sein, dass sie nun mehr Geld verdienten, aber ihrer Lebensqualität wurde ein schrecklicher Schlag versetzt. Arbeit im Einklang mit den Jahreszeiten, die Uhrzeit am Sonnenstand erkennen, Vielfalt, Abwechslung, Eigenregie: all dies wurde durch eine brutale, genormte Arbeitskultur ersetzt, an deren Auswirkungen wir noch heute leiden.«
Gegen den Aktivismus
Und obwohl der Gedanke dahinter ziemlich schwer wiegt, ist das Buch extrem leichtfüßig und lustig. Hodgkinson hinterfragt den überall und besonders im Business vorherrschenden Aktivismus, die Ansicht, dass stets etwas getan werden muss. Und wenn der einzige Grund nur der ist, eine Antwort auf die Frage des Vorgesetzten zu haben, wenn der fragt, ob man eigentlich zu dem und dem Thema schon etwas unternähme. Die Taoisten haben hierzu eine total gegenläufige Philosophie: »Tu das, was kein Handeln erfordert, und Ordnung wird obsiegen.« Oder in den Worten des großen, französischen Philosophen und Mathematikers Blaise Pascal, der in seinem Werk Pensées bereits im 17. Jahrhundert schrieb, »dass alles Unglück der Menschen einem entstammt, nämlich dass sie unfähig sind, in Ruhe allein in ihrem Zimmer bleiben zu können.«
Hodgkinson richtet sein Augenmerk auf viele Details in unserem Alltag, an denen wir sehen, dass wir selten Ruhe, Muße, Qualität oder Genuss zu unseren Leitmotiven machen. Er philosophiert über das Tee trinken, was man seiner Ansicht nach auf keinen Fall mit Teebeutel oder aus Plastiktassen tun sollte. Das Flanieren, also aus Vergnügen ohne Ziel zu Fuß zu gehen, statt »sich von der U-Bahn zum Büro zu bewegen, von der Bushaltestelle zur Fabrik, vom Sandwichladen zur Bank«. Die Kunst der Konversation, den Urlaub, die Freizeit, das Pendlerdasein zu Stoßzeiten, würzt die Themen mit großartigen Beispielen und neuen Sichtweisen und entwickelt Ausbruchsszenarien.
Das mächtigste Gefängnis errichten wir uns jedoch selbst, in unseren eigenen Köpfen: »Es ist einfach, zum ‚Sklaventreiber seiner selbst‘ zu werden, wie Thoreau sagt. Wir schaffen uns ganze Serien von Verhaltensregeln, und fühlen uns schlecht, wenn es uns nicht gelingt, nach ihnen zu leben.«