Neulich hatte ich seltene Gäste in meinem Arbeitszimmer: ein Fernsehteam vom WDR! Und das kam so: Derzeit ist eines meiner Tagebücher in der Ausstellung »Achtung: Enthält Leben. Notizbuch, Bullet Journal, Tagebuch« des Klingspor Museums für internationaler Buchkunst und Schriftkunst in Offenbach zu sehen. Zur Ausstellungseröffnung habe ich einen Blogbeitrag geschrieben, warum ich schon mein ganzes Leben Tagebuch schreibe – seit 38 Jahren! Ein paar Tage später klopfte eine junge Redakteurin des Magazins Frau TV bei mir an. Sie recherchiere für einen Beitrag zum Thema Tagebuch schreiben. Ob sie mit einem Filmteam vorbeikommen könne. Gewundert hat mich das alles überhaupt nicht. Schließlich halte ich Tagebuchschreiben für die unterschätzteste Kulturpraxis überhaupt. Im Gegensatz zu digitalen Tools wie Instagram oder Evernote, die uns doch immer nur ihre Struktur aufzwingen, liegt in der Einfachheit des Tagebuchschreibens eben genau die Freiheit. Das ist so ähnlich wie mit dem Joggen: Laufschuhe anziehen, Tür auf und los. Beim Tagebuch schreiben: Buch aufklappen, Füller in die Hand und los.
In der Sendung erzähle ich darüber, dass für mich Tagebuchschreiben etwas tröstliches hat, weil man so den Augenblick festhalten kann. Weil das Leben viel zu kostbar ist als es einfach so zwischen den Fingern zerrinnen zu lassen. Das Tagebuchschreiben befreit gewissermaßen von der Vergänglichkeit des Augenblicks. Und ich erzähle meine Geschichte: dass ich in Umbruchzeiten in meinem Leben immer besonders viel Tagebuch geschrieben habe. Dadurch habe ich auch im Nachhinein die Möglichkeit, wieder in die Situation reinzuspringen, wieder komplett in die Zeit einzutauchen. Als ich zum Beispiel als Führungskraft und Mutter irgendwann festgestellt habe, in einer absurden Arbeitssituation festzustecken, mein Entschluss, in Zukunft anders arbeiten zu wollen, nicht mehr so fragmentiert, bis hin zu meiner Kündigung – das findet sich alles im Tagebuch. Schlussendlich war dieser Fundus aus 38 Jahren Tagebuch schreiben die Basis dafür, dass ich mich entschieden habe, als Autorin zu arbeiten.
Das Fazit der Sendung: Solange ich bei mir bin – und das bin ich durchs Tagebuchschreiben – kann mir nichts passieren. Denn ich weiß, wo ich im Leben stehe. Das ist im Endeffekt en wichtiger Schritt für die Selbstermächtginung. Nicht vom Leben weggepustet zu werden. Sondern durchs Tagebuchschreiben innere Stabilität zu finden.
👉 Der Frau TV Beitrag »Tagebuch schreiben als Erwachsene« ist hier in der WDR-Mediathek zu finden.
Autorin: Christin Latniak
Kamera: F. Thomm/M. Skrlec
Schnitt: Gabi Kirstan