Ein 60er Jahre Urlaubstraum
Okay, Gardasee. Bei vielen Zeitgenossen der Hipster-Community, die lieber nach Bali fliegen oder nach Island oder an andere spektakuläre Orte, ruft er Naserümpfen hervor. Zu gewöhnlich. Zu naheliegend. Zugegeben, es umweht ihn ein Hauch 60er Jahre, in denen der Tourismus erwachte und Mutti und Vati den Lederkoffer auf die Isetta schnallten und die Alpen überquerten; oder gar ein Hauch der 80er Jahre, als wir uns mit unseren windsurf-begeisterten Eltern in den Pfingstferien in den Stau am Brenner stellten, um auf dem Campingplatz in Torbole Urlaub zu machen.
Vielleicht ist der Gardasee im kollektiven Bewusstsein eine Art Urbild des Tourismus. Und wenn das so ist, dann hat er definitiv einen Preis dafür bezahlt: Er ist rundherum umbaut, an seinem Westufer durch die spektakulär in den Felsen gehauenen Gardesana Occidentale, im Osten durch die autobahnähnliche Gardesana Orientale. Der Südosten des Sees hat sich vollends an den Tourismus verkauft: Auf der Piazza in Peschiera gibt es reihenweise Ramschläden mit Plastikspielsachen »Made in China« sowie Sea Life, Gardaland und Movie Land direkt nebeneinander. Schiffsladungen voll mit Tagestouristen setzen von dort aus nach Sirmione über, um sich durch die Gassen der Stadt auf der Halbinsel zu quetschen und die »Grotten des Catull« anzuschauen.
Aber. Ich liebe den Gardasee.
Kampfgetümmel im Süden
Interessanterweise muss man am Gardasee nie weit fahren, um dem ganzen Rummel zu entkommen, es reichen nur wenige Kilometer landeinwärts. Und das sogar im wie oben bereits erwähnten sehr touristischen Südosten. Diese Gegend war übrigens schon immer Schauplatz von viel Getümmel, nur dass es sich dabei früher um eher kriegerische Auseinandersetzungen handelte. Was kaum einer weiß: Am Grund des Sees vor dem Laziser Hafen liegen venezianische Galeeren, die vor 500 Jahren in einer Seeschlacht versenkt wurden. Bei den romantischen Burgkulissen der Gardasee-Städte Lazise, Peschiera und Sirmione handelt es sich eigentlich um Bollwerke, die im 13. und 14. Jahrhundert von den Scaligern errichtet wurden; der gigantische Visconti-Brückendamm, der sich in Valeggio sul Mincio über den südlichen Abfluss des Gardasees, den Mincio, spannt, wurde vor 600 Jahren von einem Mailänder Herzog errichtet, um der weiter südlich liegenden Stadt Mantua das Wasser für deren Burggraben abzugraben, damit die Stadt leichter einzunehmen sei. An die verlustreichen Schlachten des »Sardischen Krieges« im 19. Jahrhundert, in dem sich das Kaisertum Österreich und Sardinien-Piemont gegenüberstanden, erinnert noch heute ein Turm auf einem Hügel bei San Martino, den man von der Autobahn aus sieht.
Ein alter Bischofssitz: das La Tinassara
Trau dich also, über den Rummel am südöstlichen See hinwegzusehen. Denn genau da, kurz hinter Lazise, gibt es einen wirklich besonderen Ort, Giuseppes kleines Hotel »La Tinassara« (benannt nach seinen Töchtern, Tina und Sara). Es ist ein sehr altes Haus, wo früher der Bischof im Sommer gewohnt hat; Giuseppe hat alles selbst renoviert. Wenn du dich dem Haus näherst, erreichst du zuerst die Terrasse, die sich entlang des gesamten Hauses erstreckt. Sie ist mit großen beigen und rosafarbenen Marmorplatten belegt. Vor dem Haus gibt es eine lauschige Laube mit einigen Tischen. Im Garten steht ein riesiger Kastanienbaum, darunter ein kleiner Pool mit blau-weiß gestreiften Liegestühlen drumherum.
Wenn du hereinkommst stehst du direkt in Giuseppes winziger Rezeption und bist unmittelbar vom Geist des Hauses umfangen. Es riecht erstaunlich gut und von irgend woher kommt immer leise Musik. Giuseppe macht jeden Tag seine Wetterstatistik, schon seit vielen Jahren. Jeden Tag vermerkt er auf einem großen Plan die Temperatur des Tages, das Wetter mit Regen, Wind etc. Mittlerweile ist daraus ein großes Bild geworden, das eine ganz eigene Ästhetik besitzt und am Eingang neben der Rezeption hängt. Er ist überhaupt ein sehr sorgfältiger Mensch, und alles im La Tinassara ist mit dieser Sorgfalt und Liebe erfüllt. Dieses Haus ist ein Lebenswerk.
Die Gänge und Treppen sind etwas verwinkelt, durch das weiß gekalkte gewölbeartige Treppenhaus erreicht man die Zimmer. Jedes ist ein bisschen anders. Am schönsten sind eigentlich die unterm Dach; jedoch solltest du bei der Zimmerwahl eventuell nochmal vorsichtig nachfragen, denn Giuseppe ist ein sehr nachhaltig agierender Hotelier, nicht alle Zimmer haben eine Klimaanlage und es kann sehr sehr heiß werden im Sommer.
Das beste Frühstück der Welt
Mit am tollsten an Giuseppes Hotel ist das Frühstück und der Frühstücksraum. Giuseppe hat anscheinend einen Faible für Automaten aller Art, sie sehen alle irgendwie alt aus aber sind top in Schuss. Es gibt einen Orangensaftpresse-Automat, ein Toast-Förderband. Ein riesiges Nutellaglas, einen fantastischen Cappucchino (aber keinen Zucker, den Giuseppe rundheraus ablehnt), immer frische Tomaten und Mozzarella di Bufala. Du kannst beim Chef auch eine Eispeise bestellen; sei aber darauf vorbereitet, dass dein Name in bellendem Tonfall durch den Frühstücksraum und über die Terrasse schallt, wenn dein Rührei fertig ist. Und, Mädels, macht nicht den Fehler, parfümiert beim Frühstück zu erscheinen, das mag der Chef auch nicht.
Überhaupt ist er auch ein bisschen wie ein Geist, er ist überall und nirgendwo, beim Frühstück ist er immer da, dann sieht man ihn den ganzen Tag nicht, weil er immer irgendwas bastelt oder repariert oder verbessert. Am besten kommunizierst du mit ihm per Whatsapp, auch, wenn du abends draußen auf der Terrasse gerne ein paar Nudeln essen möchtest. Die macht er dir dann nämlich.
Seine Eigenarten haben vielleicht dazu geführt, dass Giuseppe nicht permanent mit Stammgästen ausgebucht ist. Aber das hat auch eine positive Seite: man kriegt eigentlich immer noch ein Zimmer bei ihm. Buch aber bloß nicht über booking.com, wenn Du schonmal bei ihm warst. Das wird er Dir übelnehmen. Aber wenn du bei ihm buchst, richte ihm Grüße von mir aus.
Hotel La Tinassara
Via Valesana, 8 – 37017 Lazise (VR) – Italia
Tel +39 0456 470088, Whatsapp +39 346 1049256, info@latinassara.it, www.latinassara.it