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Alte, neue Renaissance: Das Stadtviertel Sant’ Ambrogio in Florenz

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Sprizz am Largo Annigoni

„Dieser Platz ist nach ihm benannt, nach Pietro Annigoni. Er war einer der großen italienischen Künstler unserer Zeit, der verhindern wollte, dass das alte Wissen der Renaissance-Maler verloren geht“, erzählt Simone, die blonde deutsche Malerin mit den blauen Augen. Wir sitzen an der weitläufigen Piazza im Herzen von Sant’Ambrogio, dem Largo Pietro Annigoni, in der untergehenden Sonne im „I Macci“ und schlürfen – wie könnte es anders sein – einen Sprizz. Hippes, junges Publikum, am Nachbartisch die langhaarigen Barbesitzer selbst. Auf der östlichen Seite des Platzes das leicht Mussolini-haft anmutende Redaktionsgebäude von „La Nazione“; nach Norden hin die wunderschönen Fassaden der alten Stadthäuser; nach Westen hin der Mercato Sant’Ambrogio.

Das alte Stadtviertel Sant’Ambrogio

Das Stadtviertel Sant’Ambrogio selbst liegt nur ein paar Meter östlich der Touristenströme in Florenz; abseits der Trampelpfade zwischen der kontrastreichen, schwarz-weiß getäfelten Marmor-Fassade des Doms und des Campanile, vom Palazzo Vecchio und der Ponte Vecchio. Früher war Sant’Ambrogio ein Stadtviertel mit etwas zweifelhaftem Ruf, da es das örtliche Gefängnis, die Irrenanstalt und die Synagoge beherbergte. Heute ist das anders. Das Gefängnis wurde zu wirklich schönen Wohn-Gewerbe-Höfen umgebaut, mit zum Teil noch originalen Gittertüren und Verschlägen. Die Bars und Kunstgalerien in den Innenhöfen ziehen die junge Hipster-Generation an; im Viertel gibt es gute jüdische Restaurants, die alte Markthalle des Mercato Sant’Ambrogio wird in vielen Reise-Blogs als Geheimtipp gehandelt.

Die Wiederbelebung der Renaissance

Mich macht dieses Gespräch nachdenklich. Nur wenige Wochen, nachdem ich auf einer Konferenz über die »Digitale Renaissance« gesprochen habe – die Notwendigkeit, unsere Denkweise von den Silos des industriellen Zeitalters zu befreien und zu einer neuen, alten, holistischen Sichtweise zurückzufinden – bin ich in genau der Stadt, die vor 500 Jahren nicht nur das Zentrum Europas, sondern Ausgangspunkt einer neuen Denkweise war: Die Renaissance-Stadt Florenz. Und während die Menschen heute an den Uffizien oder der an der Accademia Schlange stehen, um die Renaissance-Meisterwerke, die Botticelli-Venus oder Michelangelos David, zu sehen, lerne ich, dass diese alte Kunst zwar im Museum bestaunt, aber schon lange als aktives Wissen ums Überleben kämpft. Und dass eine der Brennstoffzellen der alten Lehre in der „Florence Academy of Art“ eben in Sant’Ambrogio angesiedelt ist, gleich um die Ecke vom oben erwähnten Largo Annigoni. Simone, die blonde Malerin, hat hier studiert und unterrichtet heute selbst dort. Sie erzählt, dass Schüler aus der ganzen Welt an die Malschule kommen, auf der Suche nach dem alten Stil, um ihn hier zu lernen.

Ich bin verwirrt. Was ist denn jetzt alt? Und was ist neu? Die vor 500 Jahren revolutionäre Renaissance-Denke, die damals schon die alte Tradition der griechischen und römischen Antike „wiederbelebte“ (wie der Name schon sagt); die dazugehörige Handwerkskunst der naturalistischen Malerei, die jahrhundertelang in Europa durch Ateliers und Akademien von einer Generation zur nächsten weitergereicht wurde, deren Faden jedoch irgendwann im Übergang vom 19. ins 20. Jahrhundert, mit dem Beginn der Moderne, abriss; eine neue Bewegung und Malschule, die sich seither bemüht, die „Fragemente der humanistischen Tradition“ im 21. Jahrhundert wieder zusammenzufügen; und das alles noch in einem aufstrebenden Stadtteil angesiedelt, der jünger und moderner ist als der Rest der Stadt (der eher einem riesigen, begehbaren Renaissance-Museum gleicht).

Scheinbar gibt es diese unterschiedlichen Kreisläufe der Geschichte, jeder schwingt im eigenen Tempo; so entstehen und vergehen intellektuelle Zentren wie das alte Florenz. Bewegungen wie die Renaissance selbst, die an das Alte anknüpfen und es in die neue Zeit holen, gefolgt von Bewegungen, die mit dem Alten komplett brechen, wie die Moderne selbst. Alte, finstere Stadtteile, die irgendwann von der Jugend und den Künstlern entdeckt und aus ihrer Versenkung geholt werden (bevor sie, wie in anderen europäischen Städten, so teuer werden, dass genau die gleichen Leute dort nicht mehr wohnen können). In Florenz, in Sant’Ambrogio, habe ich das alles an einem Ort, sehr konzentriert, gesehen. 

I Macci

Bar e Ristorante, Largo Annigoni 3, Florence
I Macci auf Facebook

Florence Academy of Art

Main Campus: Via Aretina 293, 50136 Florence
Continuing Education: Via delle Casine 21/R, 50122 Florence
http://www.florenceacademyofart.com