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Neulich an der Ladestation

3 min read

Dieser Blogpost erschien als Gastbeitrag im designreport am 15. April 2018 unter dem Titel »Neulich an der Elektrotanke«

Wenn man mit dem eigenen Elektroauto (in diesem Fall ein BMW i3) mal das biedere Pendler-Dasein hinter sich lässt und sich in den Transit-Verkehr weiträumiger Autobahnfahrten vorwagt, landet man unweigerlich an der Raststätte, um zwischendurch aufzuladen.

Big Picture: Tesla Brand Experience

Was einen dort erwartet, ist eigentlich immer das gleiche Bild: ein Spalier an sechs, sieben blendend weißen Tesla-Ladestationen. An den Super-Chargern herrscht Hochbetrieb, hippe Tesla-Fahrer, die mit geübten Handgriffen völlig routiniert ihre Ladevorgänge starten oder beenden. Die Sphalanx an Teslas und die weiße »Bank« an zwanzig Metern Super-Chargern demonstrieren ein geschlossenes »Big Picture«, einen weithin sichtbaren Markenraum und die symbolische Demonstration eines funktionierenden Ökosystems. Ein fettes Statement. Und wo bin ich?

brand experience

Ganz rechts, das bin ich, in der Nerd-Corner.

brand experience

In der »Nerd-Corner«

Meine Ladesäule ist ganz außen rechts, die einzige, die keine Tesla-Ladestation ist. Das kleine, knubbelige No-Brand-Teil ist sozusagen für »den Rest«. Eigentlich sieht es ein bisschen so aus wie der PC-Typ in diesem »I’m a Mac vs. I’m a PC«-Spot, den jeder kennt. Wo der coole, smarte mit den Sneakers natürlich der Mac- und der nerdige mit dem kurzärmeligen Hemd und der Plauze der PC-Typ ist. Und genau so fühlt man sich, wenn man mit seinem i3 vorfährt, und sich erstmal in die Nerd-Corner an diese winzige, knubbelige Ladestation stellt. Wie ein Nerd. Dabei entspringt ja der BMW i3 auch einer beeindruckenden Markenwelt – er ist ein BMW! Benoit Jacob und sein Designteam haben ihm seinerzeit ein auffälliges Aussehen verpasst, das ein rollendes Designstatement der Nachhaltigkeit und Andersartigkeit ist. Er sieht gut aus im Showroom, wurde mit einer riesigen Launch-Kampagne »Born Electric« angekündigt. Die i3 Remote App, auf der ich meinen Ladestatus checken kann, sieht fancy aus. Nur im echten Leben, bei der echten »experience«, beim »core use case« Laden, da schaut er (und seine Fahrerin) nicht so gut aus.

brand experience

Wer hat die dickste Ladestation?

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BMW i3 powered by LEW Autostrom?

Der souveräne Ladevorgang

Kaum hat man unter den geringschätzigen Blicken der Tesla-Fahrer in der Nerd-Corner an der PC-Ladesäule geparkt, geht das Trauerspiel erst richtig los. Weil man erstmal dasteht wie der erste Mensch, um herauszufinden, wie man den Ladevorgang startet. Denn: Jede Ladesäule ist anders. Sie wird von unterschiedlichen Anbietern mit unterschiedlichen Kundenkarten und unterschiedlichen Bezahlsystemen betrieben, mit unterschiedlichen Bedienkonzepten und unterschiedlichen Interfaces. Von routinierten Handgriffen kann also nicht die Rede sein, denn das muss man erstmal alles herausfinden.

Auch Teil der nicht vorhandenen Brand Experience: Nicht Plug & Play wie an den weißen Tesla Powerchargern. Ich muss erstmal das Ladekabel auspacken. Also Motorhaube auf (obwohl da ja gar kein Motor mehr drin ist, aber von der geistigen Anstrengung her betrachtet), Kabel rausgewuchtet und Verbindung gelegt in der Nerd-Corner. Aber ich mag das blaue BMW i-Ladekabel. Das halte ich für ein visuell gelungenes, durchaus ikonisches »Brand Statement«.

brand experience

Bekanntschaften an der Ladestation

Was eigentlich ganz nett ist: Anders als an der Tankstelle lernt man an der Ladestation fast immer Leute kennen. Alle hängen ja beim Laden eine Weile da rum und die Elektromobilität ist ein gemeinsames Gesprächsthema. Meistens sind es – allein auf Grund ihrer Menge – Tesla-Fahrer. Denn wenn man erstmal an der Ladesäule steht und offensichtlich das System nicht kennt, ist das natürlich eine fast provokative Einladung an jeden Tesla-Fahrer, bei der i3-Fahrerin in der Nerd-Corner mal vorbeizuschlendern, ein paar technische Fragen zu stellen (»Was hatn der für ne Reichweite?«) und gute Tipps zu geben (»Jetzt brausch Dei Kundenkadde.«).

Mein Berliner Kennzeichen bringt mir im süddeutschen Raum oft Vorschuss-Lorbeeren ein, sozusagen wie ein 5. Weltmeister-Stern auf dem Trikot in Form von 600 assoziierten Kilometern (die ich nie zurückgelegt habe), was den Tesla-Fahrer gerne zurück zu seiner Lieblingsfrage führt (»Was hatn der für ne Reichweite?«).

Heute hab ich meine erste Bekanntschaft mit einer stylishen Tesla-FahrerIN gemacht. Sie hieß Luci und war ziemlich cool unterwegs. Das Auto gehört allerdings ihrem Freund. Sie fährt eigentlich einen A6.

Frau vor Tesla Ladestation

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