1. Von Sprechdenkern und Schreibdenkern
Mein geschätzter Kollege Flo hat es neulich benutzt, dieses Wort: Sprechdenken. Damit hat er seine Eigenschaft beschrieben, beim Sprechen einen Gedanken zu entwickeln (und deshalb viel sprechen und sich austauschen zu müssen). Sehr sympathisch, transparent und nachvollziehbar, da es einen teilhaben lässt am offenen Denkprozess. So ähnlich, wie wenn man dem Koch beim Kochen über die Schulter schauen kann. Es soll ja im Gegensatz dazu auch Leute geben, die anders funktionieren: die stunden- und tagelang nichts sagen, und auf einmal machen sie dann den Mund auf und es kommt die Lösung, Erkenntnis, das Ergebnis, auf jeden Fall etwas Fertiges bei raus. Diese Menschen erledigen die Denkarbeit also inwendig, sind also Denkdenker. Auf der rätselhaften Suche nach mir selber bin ich mittlerweile zu der Erkenntnis gekommen, dass ich zu den Schreibdenkern gehöre. Das äußert sich dahingehend, dass ich nicht denken kann, ohne einen Stift in der Hand oder mit den Fingern an der Tastatur. Dass ich mir permanent Notizen mache, bei der Arbeit, bei Gesprächen, beim Denken, dass ja nichts verloren geht. Dass ich mir Dinge am besten merken kann, wenn ich sie skizziert und aufgeschrieben habe.
- Probates Mittel für dieses frühe Stadium des schriftlichen Gedankens: ein Skizzenbuch. Ich habe sogar zwei, eines für Notizen im Tagesgeschäft, eines für »große« Gedanken. Goldene Regel: Du solltest Deine Skizzenbücher IMMER dabei haben. Ja, auch auf Business-Reisen, auch wenn das Dein Handgepäck erschwert. Gerade auf Reisen. Denn Reisen inspiriert und befreit die Gedanken, selbst wenn Du nur den Flughafen, den Flieger, das Taxi und den Meetingraum von Innen siehst. Durch regelmäßiges Skizzieren von Gedanken lernt man, sich selbst wieder besser zuzuhören und einen guten Gedanken aus dem weißen Grundrauschen im Kopf herauszupicken.
2. Lineares Tun versus abstraktes Matrix-Denken
Beim Schreiben kann ich meine Gedanken sortieren und überhaupt erst einen stringenten Gedankengang entwickeln. Das liegt sicher daran, dass Schreiben dafür genau das richtige Tempo hat, egal ob ich mit der Hand schreibe oder tippe; noch dazu ist es, wie das Lesen, eine lineare Tätigkeit. Eine kontinuierliche, lineare Tätigkeit auszuüben ist ein unglaublicher Luxus in Zeiten, in denen unser berufliches Dasein von hektischer Kleinteiligkeit und multidimensionaler Komplexität geprägt ist und wir im Geschäftsleben den ganzen Tag auf abstrakte Tabellen, Matrixstrukturen und Modelle schauen. Dabei verläuft ja in Wirklichkeit das ganze Leben linear, auch die Zeit (zumindest so, wie wir sie erleben) und unsere Handlungen. So, wie es unsere Mütter uns schon immer gesagt haben: »Eins nach dem Anderen.«. Wir sind im Grunde genommen auf Linearität programmiert, plagen uns jedoch permanent mit abstrakten Gedankenmodellen rum. Das Schreiben und das Lesen sind eine Rückübersetzung von allzu Komplexem in einen für den Menschen nachvollziehbaren Modus. Deshalb hat es für mich diese überaus wohltuende gedankensortierende Wirkung.
- Probates Mittel für diese Übersetzungsleistung von abstraktem Denken in den linearen Gedanken: die Präsentation. Eigentlich ein gut geeignetes Mittel, um einen inhaltlichen roten Faden zu entwickeln, durch die erzwungene, lineare Abfolge von einem Chart nach dem anderen. Missverstanden in Tausenden, mit Zahlen und Diagrammen überfrachteten Powerpoint-Präsentationen.
3. Das große Bild und der Sinn
Im Schreiben passiert für mich der Transfer vom kleinteiligen, hektischen Tagesgeschäft (in meinem Fall das Tagesgeschäft einer international aufgestellten Designagentur) zum sinnvollen Gesamtzusammenhang. Das ist für mich die Voraussetzung für die Auseinandersetzung mit Themen auf einer höheren Ebene. Nur so kann ich trotz Proposals, Timings, Sales-Zahlen, Terminkalender, Calls, Forecasts usw. das große Bild erfassen, eine andere Perspektive einnehmen, die große Richtung sehen; und, noch wichtiger, den Sinn in der Materie erkennen. Warum ich das alles tue. Was ich eigentlich suche. Was mich dabei antreibt. Was ich verändern möchte. Und das, liebe Freunde, ist das, was einen bei der Stange hält. Und was wahrhaftig inspirierend ist.
- Ein Hebel für die Sinnfindung und Sinnstiftung ist immer, sich den Inhalten zuzuwenden. Im Geschäftsleben dreht sich tendenziell immer alles um das »Wie«, also »Wie muss das neue Produkt sein«, »Wie erreichen wir unsere Zielgruppe«. Merkwürdigerweise geht es selten um das »Warum« und das »Was«. Also zum Beispiel »Warum machen wir das eigentlich?« und »Was erzählen wir eigentlich?«. Sobald man sich diese Fragen stellt, steuert man in Richtung Sinn. Ein probates Mittel ist, diese wichtigen Fragen aufzuschreiben. Zu einem späteren Zeitpunkt kann daraus die Formulierung einer Vision oder ein Manifest werden. Inspirierende Lektüre dazu: Simon Sinek’s »Start With Why«.
4. In Kontakt mit sich selbst
Beim Schreiben bzw. bei der Auseinandersetzung mit den Dingen auf einer übergeordneten Ebene kommt man interessanterweise immer wieder auch mit sich selbst in Kontakt. Das ist deshalb so wichtig, da es einem ja durchaus immer mal wieder im beruflichen Leben passiert, dass man sich selbst verliert. Im geschäftlichen Kontext kann dieser Verlust der Verbindung mit sich selbst z.B. durch die totale Identifikation mit dem Unternehmen passieren. Eine mit mir befreundete Prokuristin und Controllerin hat mir das mal so gesagt: »Ich vertrete schon so lange die geschäftlichen Interessen des Unternehmens und habe mir so dermaßen angewöhnt, in der Perspektive des Unternehmens zu denken, dass ich schon gar nicht mehr weiß, was ich eigentlich selber denke.«
Auch die Entfernung von der produktiven Seite der Arbeit ruft dieses Gefühl der Entfremdung beim Einzelnen hervor. Heute verbringt unsereiner den Großteil des Tages in Meetings und Telefonkonferenzen, um in den kurzen Momenten dazwischen schnell noch ein paar E-Mails durchzuarbeiten, um die überquellende Inbox in Schach zu halten. Zum eigentlichen »Arbeiten«, also eine Idee entwickeln, ein Konzept formulieren, ist eigentlich nie Zeit (Verrückterweise erzählen mir viele, dass die einzige Zeit, in der sie überhaupt produktiv zum Arbeiten kommen, im Homeoffice ist).
Auch die zunehmende Geschwindigkeit im Arbeitsleben trägt dazu bei, dass vor lauter Druck und Aktivismus zwar hektisch alle möglichen »Deliverables« zusammengeschustert werden, aber kaum Zeit bleibt zum Denken: sich in eine Sache tiefergehend einlesen. Sich mit den Dingen beschäftigen. Einen Gedanken, eine Idee entwickeln und sie zur Reife bringen. Bei dieser konstant hohen Geschwindigkeit und ordentlich Druck auf dem Kessel passiert es wirklich sehr leicht, sich selbst zu verlieren, zu vergessen, was die eigene Meinung und Überzeugung, die eigenen Ziele sind.
- Probates Mittel, um mit sich selbst in Kontakt zu bleiben und den eigenen, großen Gedanken weiterzuspinnen: Lesen. Und zwar nicht nur kleinteilige Newsfetzen aus Tagespresse, Newslettern, Branchenklatsch, LinkedIn- und Facebook-News. Beim Bücherlesen kann man sich, dem linearen, ruhigen Lesefluss folgend, in Sach- und Fachbüchern mit Themen auf einer übergeordneten Ebene beschäftigen. Alle Weisheit der Menschheit steht darin geschrieben. Man findet sich selbst in Büchern wieder und versichert sich, dass man nicht alleine ist mit seinem Gedankensalat. Bücher inspirieren! Damit ich Fundstücke wiederfinde, markiere ich Textpassagen und klebe PostIt-Zettel und knicke Seiten um.
5. Inspiriere Dich. Inspiriere andere.
Irgendwann habe ich dann bemerkt, dass das, was ich schreibe, und die Ebene, die ich dabei finde, nicht nur mich inspiriert, sondern auch einen Abstrahleffekt auf andere hat. Das ist eigentlich mit das beste an der Schreiberei. Die Erkenntnis, dass ich nicht alleine bin auf der Suche nach dem Sinn und nach Inspiration. Eigentlich sind das alle um mich herum, Kollegen, Kunden, Freunde, der eigene Ehemann. So habe ich irgendwann zum Beispiel festgestellt, dass die Kommunikationsformate, die ich beruflich in meinem Unternehmen etabliert habe, ganz fantastisch funktionieren, um die eigenen Mitarbeiter zu motivieren und ihnen Orientierung und eine Richtung zu geben.
- Hier muss man als Unternehmen, als Team, als Einzelperson in den Modus kommen, kontinuierlich die eigene Geschichte weiterzuerzählen. Besonders gut geeignete Medien, um dies zu tun, sind die sich ständig wandelnden und fortschreibenden Formate wie Pressearbeit, Website und Blog. Diese können sich natürlich auch gegenseitig abwechseln und ergänzen. Auf dieser Ebene habe ich die Möglichkeit, im Abstraktionslevel oberhalb des Tagesgeschäfts ein größeres Bild zu zeichnen, eine philosophische Ebene zu erreichen und das was ich tue, mit anderen Ebenen zu verknüpfen, zum Beispiel, eine historische, kulturelle oder gesellschaftliche Verbindung herzustellen. Und damit mich selbst, aber vor allem auch andere – Kollegen, Mitarbeiter, Partner, Kunden, Freunde des Hauses – zu inspirieren.
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