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The end of branding. Zwei Thesen.

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Zurück zum Anfang: »Marke« im letzten Jahrhundert

In der Welt des 20. Jahrhunderts war alles noch genau das, was es zu sein schien: Eine Firma war ein Gebäude mit einer Werkshalle. Ein Produkt war meistens eines, das man anfassen, benutzen oder auch essen konnte. Damit man wusste, wer es hergestellt hatte, schrieb man den Namen drauf. Das waren die Anfänge der kommerziellen Marke, in einer Welt, in der alles nach dem WYSIWYG-Prinzip funktionierte: »What you see is what you get«: Produkt- oder Unternehmenslogo, Packaging, Fassadenkennzeichnung. Später kamen Kommunikationsmittel hinzu, die die Marke in die Welt hinaustrugen: der Fuhrpark, das Plakat, die Broschüre, die Zeitungsanzeige.

Marke

Eine der Mütter aller Marken

Corporate Design, Branding und Marken waren im 20. Jahrhundert eben auch immer ein Spiegel ihrer Zeit. Sie gaben Produkten ein Gesicht und betteten sie in das Leben der »Konsumenten« ein; sie definierten die Rolle, die die Dinge im Leben der Menschen spielten und welche Beziehung die Menschen zu ihnen pflegten. Sie entwarfen das Bild, wie Unternehmen sich selbst sahen und gesehen werden wollten. Das ist das schöne an dieser Sparte von Design: Corporate Design und Branding haben eine sehr enge und tiefe Verbindung zur Gesellschaft, Kultur und Kommerz. Design erzählt immer auch eine Geschichte von dieser Verbindung (zumindest, wenn es gut gemacht ist).

Je konsequenter diese Geschichte nach Außen hin erzählt werden würde, so die Grundidee von Corporate Design, desto besser konnten die Menschen sie lernen und sich an sie gewöhnen. Und eben über diese Vertrauensbasis mit Marken in Verbindung treten: Sie benutzen. Sie kaufen. Sie weiterempfehlen. Sie lieben. Eine Systematisierung des Außenauftritts hatte also für Unternehmen überaus positive, taktische Effekte, die in zunehmender Wettbewerbsdichte und Verdrängungswettbewerb an Bedeutung gewannen: konsistent angewendet, stellte sich große Klarheit und Durchgängigkeit im eigenen Unternehmensauftritt ein. Die Hauptrolle spielte dabei das Logo, das unantastbare und unveränderliche Zeichen, das den »Hoheitsbereich« des Unternehmens markierte. Kunden lernten, ein Erscheinungsbild, das sich ihnen immer wieder mit dem gleichen »Visuellen Code« präsentierte, wiederzuerkennen, sich daran zu orientieren und Vertrauen in den »Markennamen« aufzubauen. Denn die Menschen vertrauten Dingen, die sich nie veränderten, von denen sie wussten, dass sie immer da sein würden.

Die berühmten, wunderbaren Erscheinungsbilder der 1960er und 70er Jahre sind alle in diesem Sinne entstanden: Das Erscheinungsbild von Otl Aicher für die Lufthansa von 1963 oder das Sparkassen-Logo von 1971, sowie das Deutsche Bank-Logo von Anton Stankowski von 1974. Das waren gut durchdachte Corporate Design-Systeme, die einem demokratischen und idealistischen Kommunikations- und Informationsauftrag nachkamen.

Mit diesem Ansatz begründete sich später eine ganze Branche, die gefühlt in den 1990er Jahren ihre Hochzeit erlebte: Corporate Design-Agenturen wie MetaDesign, die »Visuelle Systeme« entwickelten, Corporate Design-Etats verwalteten und mit armdicken Corporate Design-Manuals den Unternehmen der Deutschland AG dabei halfen, Struktur und Konsistenz in ihren zunehmend globalen Außenauftritt zu bringen: Deutsche Bahn, Volkswagen, Deutsche Post, Telekom.

Aber irgendwann um die Jahrtausendwende (+/-15 Jahre hin oder her sind unerheblich, wenn man in Jahrhunderten oder Jahrtausenden rechnet) herum setzten umwälzende Veränderungen ein, die ganz subtil begannen, und die heute, 2016, langsam ihre volle Wirkung entfalten. Hier die ersten beiden Thesen, die diese Veränderungen und ihre Auswirkungen auf Marken und Branding beschreiben (to be continued).

These 1: Mikromoment statt Lebensentscheidung

Früher war die Idee von Marken, dass sie einen das ganze Leben begleiten. Und nicht nur das: Schon Mutti und Vati hatten das Produkt benutzt und dann war es auf die nachfolgende Generation übergegangen. Marken waren sozusagen wie Familienmitglieder. Genauso wie man sich Qualitätsware geleistet hat, »einmal im Leben«, z.B. eine gute Schuhbürste und so wie Vati früher sein ganzes Arbeitsleben lang für ein Unternehmen gearbeitet hat. Diese Zeitläufe waren so langfristig angelegt, dass sie fast statisch waren. Was ist davon übrig? Nichts. Die langsame, konsistente Zeitkurve ist einer extrem schnell getakteten Vibration gewichen. Im Leben des Kunden ersetzen diese »Mikromomente« die Entscheidung fürs Leben, wie wir sie früher getroffen haben. Damit gerät auch unsere alte Welt ins Wanken, alles, woran wir immer geglaubt haben: eherne Prinzipien, gute Qualität, nachhaltige Entscheidungen. Diese altmodischen Werte machen einer extrem schnell getakteten Mikromomente-Sucht Platz, immer und überall in Echtzeit etwas noch besseres finden zu können.

Heißt das jetzt, dass der »Konsument« niemals bleibt, sondern man ihn nur noch für Mikromomente abpasst und versucht, möglichst viel Kapital aus diesem Moment zu schlagen? Heißt das jetzt, dass die ganze Idee der Kundenbindung zur Disposition steht?

Nein, das heißt es nicht. Aber die Anforderungen an Corporate Design und Branding haben sich hier immens verschoben. Aus dem guten, alten Kennzeichnungs- und Informationsauftrag der ehernen Marken ist heute vor allem ein Kampf um Aufmerksamkeit geworden, um den Mikromoment abzupassen. Ein illustres Beispiel: Jede Apotheke in Deutschland kennzeichnet sich mit dem »Apotheken-A« des Deutschen Apothekerverbandes. Die Vorgeschichte des „großen, roten, gotischen A auf weißem Grund mit in weißer Ausführung eingezeichnetem Arzneikelch mit Schlange“ reicht in die 1920er Jahre zurück, ein geschütztes Markenzeichen ist es seit den 1950er Jahren. Das scheint einigen Apothekern jedoch nicht mehr zu reichen, immer öfter sieht man auch in Deutschland die wild blinkenden LED-Apothekenschilder mit dem grünen Kreuz, die man aus Spanien oder Frankreich kennt. Hier prallen die alte und die neue Welt aufeinander: Das eherne Zeichen vs. dem aufmerksamkeitsheischenden Effekt.

Apotheke Logo

Das alte Apothekerzeichen rechts – und ein Schrei nach Aufmerksamkeit links

These 2: Veränderung statt Ewigkeit

Mit dem 20. Jahrhundert ging eine Zeit zu Ende, in der das Denken immer vom unumstößlichen Seinszustand, vom perfekten Ergebnis, vom fertigen Produkt ausging. Große Designer – wie oben erwähnt – haben diese Welt in ehernen, reduzierten Zeichen zum Ausdruck gebracht, die auf strengen Rastern und stabilen Strukturen basierten und mit denen sich Unternehmen und Produkte sozusagen ein Denkmal für die Ewigkeit bauten. Das 21. Jahrhundert brachte diese stabile Welt ins Wanken, als aus der Industrie- zunehmend eine Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft wurde, eine Revolution, die an Durchschlagskraft der Industrialisierung noch einiges voraus haben wird. Die Digitalisierung treibt die Veränderung als permanenten Seinszustand in der Businesswelt voran. Aus Produkten werden Prozesse, oder, wie Austin Kleon es in seinem Buch »Steal like an artist – about creativity in the digital age« nennt: »Think process, not product«. Daran müssen wir uns jetzt gewöhnen: Es ist aus mit »Ich habe fertig«. Wir sind niemals fertig, wir sind sozusagen im permanenten Prototyping-Modus.

Heute reicht es für Unternehmen und Marken in der Außendarstellung nicht mehr aus, mit Branding und Marketing Hoheitsbereiche zu markieren; Konsistenz, Vertrauen und Marktmacht auszustrahlen, wenn man über Nacht vom kleinen Angreifer-Startup überholt wird, das mal eben die Branche auf den Kopf stellt. Heute müssen Unternehmen und Marken den Beweis erbringen, dass sie die Fähigkeit besitzen, sich permanent verändern können, wenn sie nicht »old economy« oder »last century« sein wollen, und um Schritt halten zu können mit der immer schneller voranschreitenden technologischen Entwicklung.

Alle Prinzipien und Instrumente, die das Branding erfunden hat, beruhen auf der nachhaltigen Idee von Konsistenz, Durchgängigkeit und Beständigkeit: Wertemodelle, Corporate Design Systeme, die Orientierung und Wiedererkennbarkeit ermöglichen, Logos als das universale und unumstößliche Zeichen. Alles das steht in diesem Lichte zur Disposition. »The future of branding is de-branding«, wie neulich in einem guten Artikel von Jasmine de Bruycker in der Fast Company zu lesen war. Branding bröckelt, zumindest in der Art und Weise, wie wir es kannten.

Die neue Anforderung an Corporate Design und Branding: In Zeiten, in denen sich alles verändert, sind Designsysteme nicht mehr für die Ewigkeit gemacht, sondern müssen in ihrem inneren Wesen flexibler und veränderlich angelegt sein. Ein Prototyp dieser neuen Prämisse, ebenfalls aus dem Jahr der Jahrtausendwende: Als Wolff Olins im Jahr 2000 das neue Erscheinungsbild für die neue Tate Gallery in London entwarf, war das Logo nicht mehr ein festes Zeichen, sondern eine sich ständig changierende, pulsierende, animierte Wortmarke, die keinen echten, wahren, endgültigen Zustand besaß, sondern eben selbst einen sich ständig verändernden Prozess darstellte: »We designed a range of logos that move in and out of focus, suggesting the dynamic nature of Tate – always changing but always recognisable.« Ein grundsätzlich andersartiger Gedankenansatz, der eben von der Veränderung als »normalem« Aggregatszustand ausgeht, nicht von statischer Ewigkeit.

Tate Logo

Wolff Olins – Tate Modern / Logo Range / 2000